Im ersten Teil dieses Artikels (Befreie deine Füße – Teil I) ging es um die Vorteile des Barfußlaufens und die Nachteile von herkömmlichen Schuhen. Im zweiten Teil geben wir dir eine Anleitung, wie die Umstellung auf ein schuhloseres Leben gelingen kann.
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Heaven is under our feet as well as over our heads.
Henry David Thoreau
Der Weg zurück in die Fuß-Freiheit ist lang. Wenn du seit Jahrzehnten herkömmliche Schuhe trägst, solltest du nicht erwarten, dass du sofort ohne Anpassungsschwierigkeiten auf minimalistische Schuhe umstellen kannst.
Stelle dir dein Bein nach 6 Wochen im Gips mit Muskel-, Knochen- und Sensibilitätsverlust vor: Wahrscheinlich würdest du nicht am ersten Tag mit befreiten Bein eine Kniebeuge mit Gewicht versuchen.
Dasselbe gilt für deine Füße. Sie waren lange Zeit eingesperrt. Deine Muskeln, Knochen, Gelenke, Sehnen und Faszien sind schwach und steif. Sie brauchen Zeit für die Rehabilitation.
Herkömmliche Schuhe komprimieren den Fuß. Diese Studie untersuchte die Größe der Füße von drei Gruppen:
- Trugen keine Schuhe (BI).
- Verwenden nur selten Schuhe (SI)
- Hatten den ganzen Tag Schuhe an (W).
Wie die Grafik zeigt, verformt sich der Fuß umso mehr, je länger du Schuhe trägst.

Ein „natürlicher“ Fuß ist breiter und hat mehr Platz zwischen den Zehen, insbesondere zwischen dem großen Zeh und den anderen Zehen. Das bietet eine stabilere Basis und ist an jedes Gelände anpassbar.

Schritt 1 – Mobilisiere und dehne deine Füße
Dein erstes Ziel sollte die Wiederherstellung der Grundbeweglichkeit in deinen Füßen sein.
Spreize deine Zehen
Eingeklemmt durch die Schuhspitze werden die Zehen zusammengedrückt, verformen sich und verlieren Stück für Stück ihre Funktionalität. Einen Teil dieser Entwicklung rückgängig zu machen, ist ein gutes erstes Ziel. Durch das Spreizen der Zehen mobilisierst du Knochen und Muskeln. Du verbesserst so auch die Durchblutung dieses Bereichs und stellst deine Sensibilität oder Empfindsamkeit in den Füßen wieder her.
Du könntest deine Zehen mithilfe deiner Hände spreizen, aber auf diese Weise eine Änderung zu erreichen, wird es einige Zeit brauchen. Aus diesem Grund empfehlen wir eine passive Dehnung, zum Beispiel durch einen Zehentrenner. Dieser ist zwar nicht stylish, aber dafür sehr effektiv.
Während du fernsiehst oder ein Buch liest, kannst du so deine Zehen trainieren. Du wirst feststellen, dass es dir auch bei der Entspannung deiner Füße hilft.

Wenn deine Zehen atrophisch sind, könnte es bei den ersten Malen mit dem Zehentrenner zu Krämpfen kommen. Lass dich davon nicht entmutigen und erhöhe schrittweise die Dauer.
Stärke deine Zehen
Schuhe erlauben deinen Zehen nur sehr wenig Bewegungsfreiheit und schwächen sie. Du solltest deine Zehen daher mit den abgebildeten Übungen gezielt mobilisieren und stärken.
Du kannst die Übungen zunächst im Sitzen durchführen. Wenn deine Zehen bereits etwas stärker geworden sind, kannst du aufstehen, um noch mehr Druck auszuüben. Versuche, die Stellung für eine Minute zu halten.

Bei der folgenden Übung bewegst du deine Zehen in die entgegengesetzte Richtung. Verlagere dein Körpergewicht in alle Richtungen, um verschiedene Winkel zu erkunden, und verstärke dann behutsam den Druck.

Koordiniere deine Zehen
Wir sollten in der Lage sein, unsere Zehen ähnlich wie die Finger der Hand zu kontrollieren. Durch mangelnde Übung sind die Zehen allerdings über die Jahre unempfindlich für die Befehle des Gehirns geworden. Wenn du deine Zehen nur zusammen bewegen kannst, geht es dir wie den meisten Menschen.
Hier zwei Übungen zur Verbesserung der Zehenkoordination:
- Öffne deine Zehen und spreize sie so weit wie möglich, aber dieses Mal nur mit der Kraft deiner Muskeln (und durch die Befehle deines Gehirns) und nicht mit deinen Händen (oder dem Zehenspreizer). Die meisten Menschen können die Zehen nur beugen oder heben, sie aber nicht öffnen.
- Bewege deine Zehen unabhängig voneinander. Hebe den großen Zeh an und lass gleichzeitig die anderen Zehen auf dem Boden. Danach versuchst du das Ganze rückwärts: halte deinen großen Zeh auf dem Boden und heben die anderen Zehen an.

Einige Menschen können sogar ihre kleinen Zehen gezielt ansteuern, aber das ist gar nicht unbedingt nötig. Allein die Kontrolle des großen Zehs verbessert bereits deine Bewegung und Stabilität.
Stimuliere den ganzen Fuß
Wir sind es gewohnt, ständig auf glatten und ebenen Oberflächen zu gehen. Aber es ist nicht das, für was unsere Füße ausgelegt sind. Die Füße bestehen aus 33 Gelenken, 26 Knochen und mehr als 100 Sehnen, Muskeln und Bändern. Diese Komplexität ermöglicht es, sich an raue und variable Böden anzupassen.
Der ständige Gebrauch von Schuhen und das Übermaß an flachem Boden haben all diesen individuellen Reichtum in eine einzige träge Masse verwandelt, die sich nur dank des Knöchels bewegt.
Um die verlorene Beweglichkeit und Sensibilität dieser gesamten Struktur wiederherzustellen, kannst du z.B. einen Tennisball einsetzen. Rolle den Ball nach und nach über die gesamte Fußsohle und übe dabei variabel Druck auf einzelne Bereiche aus. Es sollte sich etwas unangenehm anfühlen, ohne schmerzhaft zu sein.
Verwende im nächsten Schritt Bälle unterschiedlicher Größe und Härte. Zum Beispiel einen Golfball, einen Lacrosse-Ball oder einen Baseball. Je vielfältiger die Reize für deine Füße sind, desto schneller werden deine Muskeln aus dem Dornröschenschlaf erwachen.

Diese Massage bietet zusätzliche Vorteile:
- Du aktivierst damit auch dein propriozeptives System. Ähnlich wie deine Hand hat auch dein Fuß eine hohe Nervendichte, um sich schnell an viele verschiedene Bodentypen anzupassen. Nach Jahrzehnten der Isolation ist er sensorisch abgestumpft.
- Du befreist deine Plantarfaszie, verbesserst die natürliche Unterstützung deines Fußgewölbes und löst Spannungen auf der Rückseite deines Beins. Was hat deine Fußsohle mit deiner Beinrückseite zu tun? Sie teilen die gleiche Faszie. Alles ist miteinander verbunden.
Vergiss deine Verbündeten nicht
Wie wir bereits in Teil I dieses Artikels gesehen haben, bewirkt eine Änderung deiner Basis, dass der Aufprall nach oben kaskadiert. Das Tragen von High Heels verkürzt die Wadenmuskulatur und die Achillessehne. Wenn du mit deinen verkürzten Waden dann direkt zum Barfußlaufen übergehst, besteht ein höheres Risiko für eine schmerzhafte Reizung wie die Plantarfasziitis.
Dehne also deine Waden häufig und verwende auch die Bälle, indem du Druck gegen den Boden ausübst.
Ein weiterer Effekt des Tragens von Schuhen (und des vielen Sitzens) ist die Verkürzung der Kniesehnen (Hamstrings). Vergiss nicht, sie möglichst häufig zu dehnen.
Schritt 2 – Kräftige deine Füße
Wenn du an Mobilität gewonnen hast, solltest du den neuen Bewegungsbereichen auch Kraft hinzufügen. Schauen wir dazu einige Ideen an.
Tiefe Kniebeugen
Die tiefe Kniebeuge ist eine großartige Übung, die nützlich ist, um Ihre Hüft- und Knöchelmobilität zu verbessern. Gehe barfuß in die tiefe Hocke und verlagere das Gewicht auf verschiedene Seiten. Versuche, mit deinem Körper Kreise zu ziehen, die größer und größer werden. Indem du die Belastungen variierst, verbessern deine Füße ihre Stabilität und Kraft in verschiedenen Bereichen und arbeiten in Koordination mit anderen Muskeln.
Anders laufen
Um Ihre Füße in verschiedenen Winkeln zu stärken, kannst du versuchen, 10 Meter nur auf den Zehenspitzen zu gehen (hebe die Fersen so hoch wie möglich). Gehe anschließend auf deinen Fersen zurück und gehe weitere 10 Meter nur auf den äußeren Seiten deiner Füße (die Zehen zeigen zueinander). Das ist auch eine gute Übungsabfolge für dein Warm-Up.

Nach vorne lehnen
Stelle dich einige Zentimeter vor eine Wand. Halte deinen Körper gerade und lehne dich nach vorne, ohne dabei deine Füße zu bewegen. Kontrolliere die Bewegung, indem du deine Zehen fest gegen den Boden drückst. Wenn du die Wand mit deinem Kopf berührst (ohne dabei bewusstlos geworden zu sein ;)), drückst du mit deinen Fingern gegen die Wand, um wieder um Ausgangspunkt zurückzukehren.
Mit der Zeit wirst du wie Michael Jackson immun gegen die Schwerkraft werden.
Schritt 3 – Gehen
Gehen ist die beste Art, unsere „neuen“ Füße einzuweihen. Versuche zunächst etwas kürzere Schritte zu machen und sanft auf der Ferse zu landen. Das Knie ist dabei leicht gebeugt. Beim Gehen geht es nicht darum, sich fallen zu lassen und den Sturz abzufangen, indem man das Bein streckt, wie es die meisten tun.
Wenn du normalerweise Absätze trägst, solltest du mit kurzen Strecken beginnen und nicht länger als 15-20 Minuten unterwegs sein. Du kannst dich dann allmählich steigern, wenn sich deine Füße an ihre neue Arbeit gewöhnt haben.
Wann immer möglich, solltest du neue Arten von Untergründen und Strecken hinzufügen.
Das ständige Gehen in hochhackigen Schuhen und auf ebenen Oberflächen reduziert die Bewegungsfreiheit der Füße. Die Bewegungsbereiche, die du nicht nutzt, verlierst du mit der Zeit.

Wir machen dann das Loch im Boden für unsere Knöchelverstauchung verantwortlich, aber das Problem ist sind nicht Unebenheiten oder Löcher (diese kommen in der Natur häufig vor), sondern unsere Muskelschwäche und mangelnde Anpassung an die unterschiedlichen Bedingungen. Um diese Anpassung wiederzuerlangen, solltest du die Oberflächen, auf denen du gehst, variieren. Gehe durch den Wald, auf dem Sand, über Kiesel, auf Ästen, auf Bergwegen, ….
Eine interessante Studie kam beispielsweise zu er Erkenntnis, dass natürliche Oberflächen einige Störungen in der motorischen Entwicklung von Kindern reduzieren können, unter anderem der sogenannte idiopathische Zehenspitzengang.
Schritt 4 – Laufen
Läuferverletzungen haben mehr mit der Lauftechnik zu tun als mit dem verwendeten Schuh. Ohne gute Technik minimalistische Schuhe zu tragen, ist gefährlich. Wenn du die vorherigen Phasen zur Mobilitätssteigerung und Kräftigung übersprungen hast, ist eine Verletzung sehr wahrscheinlich.
Es gibt verschiedene gute Techniken. Dieses Video ist ein guter Ausgangspunkt.

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Der Schlüssel zum Erfolg ist immer der Gleiche: gehe schrittweise vor:
- Beschränke dich im ersten Monat auf 10-15-minütige Läufe, wobei du mindestens einen Ruhetag zwischen die Laufeinheiten legen solltest.
- Im zweiten Monat kannst du dann schon bis zu 30 Minuten pro Training laufen, gerne auch mit zunehmender Häufigkeit, wenn du keine Beschwerden hast.
- Ab dem dritten Monat bist du dann auch reif für längere Strecken, sofern du das anstrebst.
Zusammenfassung
Weniger auf Schuhe zu setzen hat im Leben von vielen Menschen eine positive Wende gebracht: weniger Verletzungen, weniger Rückenschmerzen, besseres Körpergefühl…
Bewegung ist die Basis für unsere Gesundheit. Unsere Füße wiederum sind die physische Basis all unserer Bewegungen. Wenn sie nicht gut in Form sind, besteht die Gefahr, dass alles, was du darauf aufbaust, schlechter funktioniert.
Aber du solltest geduldig sein. Der Weg zurück ist lang und voller Hindernisse. Stelle sicher, dass du du dir genug Zeit nimmst, deine Füße zu mobilisieren und zu kräftigen. Schritt für Schritt.
Interessante Bücher zum Thema:
- Born to Run 2: The Ultimate Training Guide von Christopher McDougall und Eric Orton
- Besser laufen mit der Pose Method: – Schneller werden – Ausdauer steigern – Verletzungen vermeiden – Beweglichkeit und Koordination verbessern von Nicholas Romanov
Titelfoto: Davie Bicker