Im ersten Teil haben wir die Analogie zwischen dem Reiter und dem Elefanten vorgestellt. Der Reiter steht für unser rationales Gehirn, das im präfrontalen Kortex sitzt. Der Elefant dagegen ist unser uraltes, impulsives und emotionales Gehirn.
Um deine Ziele zu erreichen, musst du dem Reiter eine klare Richtung vorgeben und den Elefanten beruhigen.
Heute konzentrieren wir uns auf die dritte Komponente des menschlichen Verhaltens: den Weg. Die Instinkte des Elefanten sind besser zu kontrollieren, wenn ihn der Weg zu erstrebenswerten Zielen führt und dein Umfeld für und nicht gegen dich arbeitet.
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„Design your life to minimize reliance on willpower.°
B.J. Fogg
Seit Jahrtausenden wissen wir, dass der Kontext unser Verhalten beeinflusst. Homers Odyssee ist ein anschauliches Beispiel dafür: An einer Stelle lässt sich Odysseus an den Mast seines Schiffes binden, um nicht den sinnlichen, aber tödlichen Sirenengesängen zu erliegen. Er ist sich seiner Schwäche bewusst und entscheidet sich dafür, seine Umgebung so zu verändern, dass er sich nicht allein auf seine Willenskraft verlassen muss.
Heute werden wir sehen, wie die Umgebung eine unsichtbare Kraft darstellt, die unsere Entscheidungen lenkt, und du wirst lernen, wie du deine Umgebung so gestalten kannst, dass sie mit deinen Zielen übereinstimmt.
Der Einfluss des Umfelds
Unser Gehirn wird durch das Prinzip des geringsten Aufwands (Principle of least effort) gesteuert. In der Wildnis war es gefährlich, Energie zu verbrauchen und Faulheit eine gute Überlebensstrategie.
Allein der Akt, eine Entscheidung zu treffen, erfordert Anstrengung. Unser Gehirn folgt daher oft der bekannten oder naheliegenden Option.
Dazu ein Beispiel: Regierungen verschiedener Länder ermöglichen ihren Bürgern, durch Ausfüllen eines einfachen Formulars Organspender zu werden. Aber die Gestaltung dieses Formulars hat einen großen Einfluss auf das Ergebnis. Zwei Auswahlmöglichkeiten kommen zur Anwendung.
- „Kreuze dieses Feld an, um Organspender zu sein“.
- „Kreuze dieses Kästchen an, um NICHT Organspender zu sein“.
Länder, die sich für die zweite Option entscheiden, erreichen viel höhere Organspendenraten als Länder, bei denen man das Kästchen zur Organspende explizit ankreuzen muss (mehr Details I, mehr Details II, mehr Details III).
Mit anderen Worten: Wir „entscheiden“ uns größtenteils nicht dafür ein oder kein Organspender zu sein, sondern wir entscheiden uns einfach für die Option, die den geringsten Aufwand bedeutet: nämlich einfach nichts anzukreuzen. Die Faulheit übertrumpft die Ethik. Viele andere Studien legen nahe, dass eine Änderung der Standardoptionen Menschen dazu bringen könnte, mehr zu sparen oder generell bessere Entscheidungen zu treffen.
In seinem Buch „Nudge“ bezeichnet der Wirtschaftsnobelpreisträger Richard H. Thaler diesen Ansatz als libertären Paternalismus. Die gezielte Gestaltung der Optionen schränkt die Wahlfreiheit der Menschen nicht ein, sondern ebnet ihnen den Weg zur besten Entscheidung.
Übertragen auf die Welt der Gesundheit hat eine aktuelle Meta-Analyse die Wirksamkeit verschiedener Strategien zur Verbesserung unserer Ernährungsgewohnheiten untersucht. Drei Richtungen wurden festgelegt:
- Kognitiv-orientierte Maßnahmen. Hier wird gezielt der Reiter angesprochen, indem etwa zusätzliche Informationen über die Nährwerte von Lebensmitteln angegeben werden.
- Affektiv/Emotional-orientierte Maßnahmen. Hier wird an den Elefanten appelliert. Es wird versucht, gesunde Produkte schmackhaft und attraktiv zu machen. Es geht nicht um Informationen, sondern darum, positive Gefühle zu erzeugen.
- Verhaltensorientierte Maßnahmen. In diesem Fall werden keine Informationen angeboten oder an die Emotionen appelliert. Hier wird einfach die Umgebung verändert, um das gewünschte Verhalten zu erzeugen.
Das Ergebnis: Am wenigsten effektiv ist es, mehr Informationen bereitzustellen. Den Elefanten ins Visier zu nehmen, funktioniert dagegen schon ein wenig besser, aber die Ergebnisse sind immer noch mittelmäßig. Die wirksamsten Strategien sind solche, die das Umfeld verändern, indem sie den Zugang zu ungesunden Produkten erschweren oder die Portionsgrößen reduzieren.
Leider ist die moderne Umwelt so gestaltet, dass sie unsere ursprüngliche Veranlagung ausnutzt und uns ständig dazu bringt, zu viel zu essen (Review). Die Lebensmittelindustrie verkauft uns Vergnügen und Bequemlichkeit, verschweigt aber, dass die langfristigen Ergebnisse Schwäche und Krankheit sein werden (mehr Details).
Das Ziel ist es, dieses Wissen für uns zu nutzen und den Prozess umzukehren. Anstatt Opfer unserer Umwelt zu sein, werden wir zum Architekten unserer Umgebung. Das Richtige zu tun, erfordert in dieser neuen Welt weniger und nicht mehr Aufwand.
Der Einfluss der Gruppe auf dein Verhalten
Von allen Elementen, die uns umgeben, ist unser soziales Umfeld vielleicht das, was uns am meisten beeinflusst. Wir sehen Disziplin größtenteils als einen individuellen Kampf, aber sie wird sehr stark von der Gesellschaft beeinflusst. Wir suchen uns unsere ersten Gewohnheiten nicht aus, wir ahmen sie einfach nach. So werden wir unbewusst zu dem, was uns umgibt.
Wir haben das Bedürfnis, uns anzupassen und von unseren Mitmenschen respektiert zu werden. Sozialem Druck geben wir leicht nach. Wenn wir nicht wissen, wie wir uns in einer bestimmten Situation verhalten sollen, beobachten wir das Verhalten anderer.
Mehrere Studien zeigen, dass sozialer Druck effektiver ist, um das allgemeine Verhalten zu ändern, als wenn an das moralische Empfinden appelliert wird.
In dieser Studie wurden zum Beispiel in mehreren Hotels die Wirksamkeit von zwei verschiedene Botschaften zum Thema Wassersparen verglichen:
- „Hilf uns, die Umwelt zu retten, indem du die Handtücher wiederverwendest“.
- „75 % unserer Gäste verwenden ihre Handtücher wieder“.
Du wirst es dir bereits denken: Die zweite Botschaft war viel effektiver.
Gewohnheiten verbreiten sich wie Keime und springen von einer Person zur nächsten. Wenn die Menschen in deinem direkten Umfeld zunehmen, steigt auch deine Chance, dass du zunimmst. Adipositas ist in gewisser Weise ansteckend (Studie I, Studie II, Studie III).
Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der schlechte oder ungesunde Angewohnheiten gesellschaftlich akzeptiert sind. Niemand wird dich komisch anschauen, wenn du täglich ein Glas Wein trinkst, dich kaum bewegst oder deinem Kind zum Frühstück ein Schokomüsli hinstellst.
Zum Glück sind aber nicht nur schlechte Gewohnheiten ansteckend, sondern auch gute und gesunde. Am effektivsten kannst du deine Gewohnheiten verbessern, wenn du dich mit Menschen umgibst, deren erwartete Verhaltensweisen deine gewünschten Verhaltensweisen sind.
„You are the average of the five people you spend the most time with.“
Jim Rohn
Es geht nicht darum, auf andere Menschen herabzuschauen, aber es ist wichtig, dass du dir über deine Ziele klar wirst. Es kann Sinn ergeben, dass du mehr Zeit mit Menschen verbringst, die dir helfen, sie zu erreichen. Wenn du Teil einer Gruppe bist, die sich regelmäßig zum Laufen, Ballsport oder zu Wanderungen am Wochenende trifft, wirst du gesunde Gewohnheiten deutlich leichter annehmen.
Strategien zur Veränderung unseres Umfelds
Wenn du dein Umfeld so gestaltest, dass es zu dir und deinen Zielen passt, benötigst du weniger Disziplin und kannst deine Energie für produktivere Dinge verwenden.
Es gibt zwei Arten von Zielen:
- Eine gute Gewohnheit etablieren.
- Eine schlechte Angewohnheit loswerden.
Im ersten Fall müssen wir unser Umfeld so verändern, dass das gewünschte neue Verhalten leichter möglich ist. Hier geht es um die Reduktion der Komplexität und der Reibung, statt um den Versuch, mehr Motivation aufzubringen.
Im zweiten Fall müssen wir genau das Gegenteil tun und den, mit der alten Gewohnheit verbundenen Aufwand erhöhen. Das Resultat ist, dass du weniger Selbstkontrolle benötigst, um Versuchungen zu vermeiden.
Grundsätzlich ist es wichtig zu verstehen, dass viele Gewohnheiten – sowohl gute als auch schlechte – durch visuelle Elemente ausgelöst werden. Ein guter Architekt weiß, dass kleine Veränderungen unserer sichtbaren Umgebung großen Einfluss auf unser Handeln haben. Wenn du etwa den Auslöser einer schlechten Angewohnheit versteckst, verringerst du das Verlangen.
Gute Gewohnheiten etablieren
Nachfolgend einige Ideen, um zwei gute Gewohnheiten zu stärken: Mehr Gemüse/Obst essen und mehr trainieren.
Mehr Obst und Gemüse essen
- Kaufe bereits gewaschenes und zerkleinertes Gemüse. Wenn nach der Arbeit abgeschlagen nach Hause kommst und dann erst mal Spinat waschen und schneiden musst, wirst du das womöglich nicht tun. Wenn du alles schon vorgefertigt hast, wird dein Elefant weniger Widerstand leisten.
- Kaufe bereits geschreddertes Gemüse wie Karotten oder Kohl. Auch tiefgekühltes Gemüse ist eine gute Option. Eine weitere Idee ist ein Spiralschneider, mit dem du dir rasch Zucchini- oder Karottenpasta machen kannst. Das beschleunigt nicht nur den Vorbereitungsprozess, sondern bringt auch Abwechslung in deine Gerichte.
- Am Wochenende kannst du Soßen vorbereiten und diese in Glasbehältern aufbewahren. Unter der Woche musst dann nur noch das Gemüse in der Pfanne erhitzen und kannst sofort essen.
- Stelle eine Obstschale an einen gut sichtbaren Platz in deiner Wohnung und habe immer etwas Obst parat, das nicht extra geschnitten oder gewaschen werden muss, z. B. Bananen. Denke daran: Was wir sehen, bedingt, was wir tun.
- Wenn du öfter im Büro Hunger bekommst, kannst du dir eine kleine Tüte mit Trockenfrüchten auf den Schreibtisch legen.
- An Tagen, an denen du mehr Zeit hast, wasche und schneide das Obst für den nächsten Tag vor. Bewahre es am besten in transparenten Behältern auf, um es besser sichtbar zu machen.
- Wasche und friere Beeren wie Erdbeeren, Blaubeeren oder Himbeeren ein, um sie als Beigabe für Joghurts oder Smoothies parat zu haben. Oder noch einfacher: Kaufe sie bereits gewaschen und eingefroren.
Mehr trainieren
- Lege dein Sportoutfit an einen gut sichtbaren Ort, zum Beispiel auf einen Stuhl in deinem Zimmer.
- Wenn du in der Früh zum Sport gehen möchtest, packe deinen Rucksack mit allem, was du benötigst, am Abend vorher und stelle ihn am Eingang ab.
- Überlege dir, wie du zu Hause oder vor der Haustür trainieren kannst. Wenn du zum Sporttreiben immer extra ins Fitnessstudio fahren musst, wirst du wahrscheinlich aufgeben.
- Hänge dir eine Klimmzugstange in die Tür. Jedes Mal, wenn du darunter durchgehst, machst du einen Klimmzug oder lässt dich für 30 Sekunden hängen.
- Stelle eine Kettlebell neben deinen Schreibtisch. In jeder kurzen Pause machst du fünf Wiederholungen einer Übung. Du kannst zwischen Schwingen, Drücken oder Kreuzheben abwechseln … am Ende des Tages hast du – ohne es zu merken – ein Ganzkörpertraining absolviert.
- Such dir einen Trainingspartner. Triff dich mit jemandem, um ins Fitnessstudio oder zum Joggen zu gehen. Wie wir bereits gesehen haben, übernimmst du die Gewohnheiten sportlicher Menschen, wenn du Zeit mit ihnen verbringst.
Schlechte Gewohnheiten loswerden
Bei den schlechten Angewohnheiten gehen wir exemplarisch auf Ideen ein, wie man weniger hoch verarbeitete Lebensmittel isst und weniger fernsieht, aber du kannst die Konzepte auf alles anwenden, das du abstellten oder einschränken möchtest.
Weniger verarbeitete Lebensmittel essen
- Kaufe mehr auf Märkten und weniger in Supermärkten ein. Auf den traditionellen Märkten gibt es deutlich weniger hoch verarbeitete Produkte. Wenn du sie gar nicht erst siehst, kommst du auch nicht in Versuchung.
- Wenn du im Supermarkt einkaufst, gehe direkt zum Obst- oder Gemüsebereich. Meide die Gänge für Süßigkeiten, Chips, Müsli und Kekse.
- Sollten sich dennoch gelegentlich ungesunde Lebensmittel in deine Wohnung schleichen, bewahre sie an einem schlecht zugänglichen Ort auf, z. B. in einem Regal, an das du nur mit einem Stuhl kommst.
- Wenn du in Versuchung gerätst, iss von einem Teller und nicht direkt aus der Packung (hier ist es schwieriger, die Menge zu kontrollieren).
- Wenn du etwas Ungesundes im Kühlschrank aufbewahren willst, wickle es in eine undurchsichtige Folie ein, damit es weniger sichtbar ist. Denke daran, dass du die gesunden Lebensmittel in durchsichtigen Behältern aufbewahrst.
- Benutze kleinere Teller, wenn du etwas Ungesundes isst. Auf diese Weise wirst du dazu neigen, etwas weniger zu essen (Studie).
- Vertikale Linien erscheinen uns länger als horizontale. Wenn du hohe, schmale Gläser für Softdrinks verwendest, trinkst du tendenziell weniger (mehr Details).
Weniger fernsehen
- Lege die Fernbedienung in eine Schublade. Wenn du sie nicht siehst, bist du weniger in Versuchung, den Fernseher einzuschalten.
- Ziehe den Stecker, nachdem du den Fernseher ausgeschaltet hast. Dieser einfache Akt erzeugt ein wenig zusätzlichen Reibung, bevor du später wieder einschaltest. Wenn du noch radikaler sein möchtest, kannst du die Batterien aus der Fernbedienung entfernen und sie in eine separate Schublade legen.
- Wo bislang die Fernbedienung lag, kannst du jetzt ein Buch platzieren, das du lesen möchtest. Das, was wir sehen, bedingt das, was wir tun.
- Schalte die Option aus, dass Netflix oder andere Streaming-Dienste immer automatisch die nächste Folge zeigen (mehr zum sogenannten Netflix-Effekt).
Zusammenfassung
Wir denken, dass wir ständig rationale Entscheidungen treffen, aber unser Verhalten wird von einer Vielzahl von Umweltfaktoren beeinflusst, derer wir uns gar nicht bewusst sind. Die Wahrnehmung, dass wir alles unter Kontrolle haben, ist eine Illusion.
Wenn du verstehst, wie die Umwelt dich unbewusst konditioniert, kannst du sie verändern und sie zu deinem Verbündeten machen. Mit ein bisschen Übung wirst du zum erfolgreichen Architekten deines Schicksals.
Titelfoto: Melanie Magdalena auf Unsplash
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