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Alles, was du über Protein wissen solltest: Funktionen, Mythen, Aufnahme und Risiken

Protein bzw. Eiweiß sorgt für viel Verwirrung in der Ernährung von Sportlern und Nichtsportlern. Die Bandbreite der Meinungen reicht von absolut unentbehrlich bis gnadenlos überschätzt. Einige Menschen denken, dass sie nur mit tierischem Eiweiß Muskeln aufbauen können, während andere der Meinung sind, dass zu viel Protein gefährlich für die Gesundheit ist. Es wird Zeit, das Thema genauer unter die Lupe zu nehmen und sich die Studienlage näher anzuschauen. 

Hinweis: Die Begriffe Protein und Eiweiß werden im Folgenden synonym verwendet. 

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Protein ist nach Wasser der volumenmäßig größte Bestandteil unseres Körpers und an fast allen zellulären Prozessen beteiligt. Nicht umsonst kann der griechische Begriff proteiosvon dem sich das Wort Protein ableitet, mit grundlegend oder vorrangig übersetzt werden. 

Proteine bestehen aus Aminosäuren. Zwanzig verschiedene Aminosäuren sind für die Erhaltung aller unserer „Strukturen“ notwendig: Muskeln, Sehnen, Organe, Drüsen, Nägel, Haare usw. Abgesehen von dieser grundlegenden Rolle können Proteine auch als Energiequelle genutzt werden. So lassen sie sich in Ermangelung von Kohlenhydraten in Glukose umwandeln und bilden auch Enzyme, Hormone oder Neurotransmitter. Je mehr man über Proteine erfährt, desto klarer wird, dass die ursprüngliche Bedeutung aus dem Griechischen den Nagel auf den Kopf trifft. 

Der Körper ist in der Lage, elf der von ihm benötigten Aminosäuren selbst zu synthetisieren. Die anderen neun Aminosäuren, die sogenannten essenziellen Aminosäuren, müssen wir über die Nahrung aufnehmen, weil der Körper sie nicht selbst herstellen kann. 

Design ohne Titel
Alle 20 Aminosäuren

Proteinquellen, die alle essenziellen Aminosäuren enthalten, werden als vollständig bezeichnet. Fehlt eine essenzielle Aminosäure, wird das Eiweiß als unvollständig bezeichnet.

Im Allgemeinen sind tierische Proteine unseren eigenen Proteinen ähnlicher, daher haben sie oft eine höhere biologische Wertigkeit als pflanzliche Proteine.

Es gibt eine Gruppe spezieller verzweigtkettiger Aminosäuren, auch BCAAs (Branched-Chain Amino Acids) genannt, von denen drei besonders hervorstechen, da sie zusammen ein Drittel der Zusammensetzung unserer Muskeln ausmachen: 

  • Valin
  • Isoleucin
  • Leucin

Leucin ist für den Muskelaufbau am wichtigsten und ist daher in Ergänzungspräparaten in der Regel in größeren Mengen enthalten.

Proteine und Evolution

Die Proteinzufuhr in Jäger- und Sammlergesellschaften war je nach Geografie und Jahreszeit sehr unterschiedlich.

Je weiter vom Äquator entfernt die Menschen lebten, desto mehr Eiweiß enthielt ihre Nahrung. Der Eiweißanteil stieg im Spätwinter an, da zu diesem Zeitpunkt nur noch wenig Vegetation vorhanden war und die Tiere, von denen sie sich ernährten, bereits einen Großteil des im Sommer angesammelten Fetts verbrannt hatten.

Aber genau wie eine Ernährung mit hohem Eiweiß- und Fettanteil in der Regel kein Problem darstellt – vor allem, wenn sie zyklisch erfolgt – ist eine Ernährung mit sehr hohem Eiweiß-, aber gleichzeitig niedrigem Fett- und Kohlenhydratanteil problematisch. Es gibt zahlreiche historische Aufzeichnungen über Gesundheitsprobleme bei einer Ernährung, die einen sehr hohen Anteil an magerem Fleisch hat (Studie).

Das Phänomen des „Kaninchenhungers“ besteht darin, dass Menschen selbst bei reichlichem Wildbestand krank werden können, wenn die Tiere wenig Fett haben oder die Jäger nur die Muskeln essen. Das Phänomen wurde auch in Gesellschaften beobachtet, die sich im Winter nur von magerem Rentierfleisch ernährten (hier wurde dann von der sogenannten „Karibukrankheit“ gesprochen).

Heute wissen wir, dass diese Probleme, von denen in verschiedenen natürlichen Umgebungen berichtet wird, auftreten, wenn der Eiweißgehalt der Nahrung einen bestimmten Schwellenwert überschreitet und die Menschen sehr dünn sind. Dazu gibt es eine berühmte Studie, bei der zwei Personen ein Jahr lang ausschließlich mit Fleisch ernährt wurden, ohne dass negative Symptome auftraten. Erst als das Fleisch zu mager wurde und der Eiweißanteil mehr als die Hälfte der Nahrung ausmachte, traten erste Komplikationen auf.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir von traditionellen Gesellschaften mit guter Gesundheit wissen, die sowohl eine hohe Kohlenhydratzufuhr (natürliche Kohlenhydratquellen statt verarbeiteter Industriekost) als auch eine hohe Fettzufuhr haben, aber es gibt keine Gesellschaften mit durchgängig hoher Proteinzufuhr.

Dies gibt uns bereits einen Hinweis darauf, dass zwar Eiweiß nicht die Hauptenergiequelle sein sollte, aber es stimmt auch, dass viele der Ängste in Bezug auf Protein übertrieben sind.

Protein ist nicht schlecht für die Nieren...

Die Vorstellung, dass Eiweiß schädlich für die Nieren sei, ist eine der Mythen, die immer wieder widerlegt wurden und sich trotzdem hartnäckig halten. 

Der Ursprung dieser Befürchtung liegt in der Tatsache, dass eine signifikante Erhöhung der Proteinzufuhr zu Veränderungen (Hyperfiltration, Vergrößerung) in der Niere führen kann. Dies ist unstrittig. Das Problem ist, dass viele Menschen diese Veränderungen als Beweis dafür interpretieren, dass der Verzehr von zu viel Eiweiß die Nieren belastet und daher gefährlich sein muss. 

Wissenschaftliche Untersuchungen weisen jedoch darauf hin, dass dies ebenso absurd ist wie die Befürchtung, dass Gewichte die Muskeln belasten. Beide Behauptungen sind wahr, aber das bedeutet nicht automatisch, dass wir uns Sorgen machen müssen. Wenn du deine Muskeln belastest, passen sie sich an und wachsen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Wenn du deine Nieren unter Stress setzt, reagieren sie genauso. 

Protein und Nierengesundheit: viel Lärm um relativ wenig ...

Wenn es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen hoher Proteinzufuhr und Nierenerkrankungen gäbe, bestände Grund zur Sorge. Es wird aber immer deutlicher, dass dies nicht der Fall ist: 

  • Dieses Buch über Nierenkrankheiten macht deutlich, dass die Veränderungen, die durch eine erhöhte Eiweißzufuhr in der Niere hervorgerufen werden, bei gesunden Menschen keine Probleme verursachen. Diabetes und Bluthochdruck sind die wichtigsten anerkannten Ursachen für Nierenschäden. Protein spielt hier jedoch keine Rolle. Das Gleiche gilt übrigens auch für Salz. Problematisch dagegen ist ein übermäßiger Konsum der üblichen Verdächtigen Zucker bzw. Fruktose (Studie I, Studie II).
  • Ein Großteil der wissenschaftlichen Literatur kommt zu dem Schluss, dass es keine Hinweise auf negative Auswirkungen einer proteinreichen Ernährung auf die Nieren gibt. Zum gleichen Ergebnis kommt auch eine Meta-Analyse. Tatsächlich kann der Verzehr von mehr Eiweiß das Risiko einer chronischen Nierenerkrankung sogar verringern (Studie).
  • Die Ergebnisse einer zweijährigen Studie, die eine eiweißreiche und kohlenhydratarme Ernährung zum Gegenstand hatte, zeigten ebenfalls keine Probleme für Nieren oder Knochen. In einer anderen Studie wurde eine höhere Proteinzufuhr mit einer besseren Knochengesundheit in Verbindung gebracht. Verliert man Gewicht, schützt Eiweiß auch die Knochen (Studie).
  • Bei älteren Menschen verbessert der Verzehr von mehr Eiweiß (als die allgemein empfohlene Menge) die Knochengesundheit und verringert – ohne die Nieren zu beeinträchtigen – das Risiko von Hüftfrakturen (Studie).

Liegt jedoch bereits eine Nierenerkrankung vor, ist es ratsam, die Proteinzufuhr zu drosseln. Analog würde man bei einem Armbruch zeitweise keine Gewichte mehr heben. Aber nur weil etwas für Menschen mit einer bestimmten Erkrankung nicht ratsam ist, heißt das nicht, dass dies die Ursache des Problems wäre.

Wenn Eiweiß wirklich schädlich für die Nieren wäre, müssten Menschen, die nur noch eine Niere haben, ihre Eiweißzufuhr doch eigentlich um die Hälfte reduzieren, um nicht häufiger an Nierenerkrankungen zu leiden, oder? Nachfolgestudien über 20 Jahre bei Nierenspendern kamen zu einem anderen Ergebnis. Sie erwähnten lediglich, dass die Niere wächst. Das jedoch ist das Ergebnis einer normalen körperlichen Anpassung, eben genau wie bei den Muskeln.

Das alles bedeutet nicht, dass Protein in großen Mengen unproblematisch wäre (wie wir noch sehen werden). Worüber wir uns aber im Zusammenhang mit Protein wenig bis gar keine Sorgen machen müssen, sind unsere Nieren.

Wie viel Protein brauchst du?

Beginnen wir mit der offiziellen Empfehlung der WHO (World Health Organization = Weltgesundheitsorganisation), die zwischen 0,8 und 1 Gramm Eiweiß pro Kilo Körpergewicht und Tag liegt.

Mit anderen Worten: Bei einer Person, die 65 kg wiegt und 2.000 Kalorien zu sich nimmt, macht dies zwischen 10 und 13 % der Gesamtkalorien aus. Dies mag bei einer nicht besonders aktiven Person sicherstellen, dass kein Eiweißmangel auftritt, aber angesichts der Wichtigkeit, die Muskelmasse zu erhalten, sollte eher ein Mindestwert von 15  % angestrebt werden (Studie). Bei den folgenden Fällen bzw. Zielstellungen (A, B und C)  sollte die Proteinaufnahme noch weiter erhöht werden: 

A) Ziel: Muskelaufbau

Werfen wir einen Blick auf die Schlussfolgerungen einiger Studien:

  • In dieser Übersichtsstudie aus dem Journal of Sports Sciences wird die optimale Zufuhr auf 1,3 bis 1,8 g/Kilo pro Tag festgelegt. Um den Muskelabbau zu minimieren und gleichzeitig Fett zu verbrennen, sollte die Zufuhr bei intensivem Training oder bei Kalorienbeschränkung allerdings noch höher sein (1,8-2,0 g/Kilo), 
  • Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bei einer Menge von unter 1 g Protein/Kilo pro Tag bei Sportlern ein Muskelabbau zu verzeichnen ist. Die Studie hebt jedoch hervor, dass bei einem Konsum zwischen 1,4 und 2,4 g/Kilo die Unterschiede nur noch minimal sind.
  • Ein anderer Artikel kommt zu einem ähnlichen Schluss und befürwortet eine relativ hohe Proteinzufuhr, hält aber wenig davon, die – insbesondere in Bodybuilding-Foren – empfohlenen Mengen von 2 bis 3 g/Kilo zu überschreiten.
  • Eine Studie mit Bodybuildern empfiehlt eine Proteinmenge von 1,7-2,2 g/Kilo.
  • Eine große Meta-Analyse zeigt klare Vorteile einer Erhöhung des Proteingehalts über die allgemeinen Empfehlungen hinaus.
  • Eine weitere Meta-Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass eine Menge von 1,5 g/kg in den meisten Fällen optimal für die Zielerreichung ist.

Wenn Muskelaufbau dein Ziel ist, solltest du mit 1,5 bis 1,6 g/kg beginnen und die Menge ein wenig erhöhen, wenn du damit keine angemessenen Ergebnisse erzielst. Hast du mehr als 25 % Körperfett, ist es sinnvoller, wenn du dich bezüglich der Proteinzufuhr an deinem Zielgewicht orientierst statt an deinem aktuellen Gewicht.

Wenn du keine tierischen Produkte konsumierst, musst du möglicherweise etwas mehr zu dir nehmen, um die niedrigere Bioverfügbarkeit der pflanzlichen Proteine auszugleichen (Studie I, Studie II).

B) Ältere Menschen

Muskeln sind die beste Lebensversicherung. Nichts zerstört deine Selbstständigkeit und bringt dich dem Pflegeheim näher als der Verlust von Muskelmasse. Die Beweise sind eindeutig: Ältere Menschen profitieren von einer höheren Eiweißzufuhr. Die offizielle Empfehlung von 0,8 g/Kilo führt jedoch in vielen Fällen zu Muskelabbau (Studie) und erhöhtem Knochenverlust (Studie).

Eine höhere Proteinmenge verbessert die Leistung (Studie) und die Muskelmasse in Verbindung mit Krafttraining (Studie I, Studie II). Und ja, du solltest in jedem Alter Krafttraining machen (oder CrossFit mit 73 :-))

C) Ziel: Gewichtsreduktion

Es gibt zahlreiche Studien, die die Vorteile einer erhöhten Proteinzufuhr bei der Gewichtsabnahme dokumentieren:

  • In dieser Studie werden die Auswirkungen einer identischen Kalorienrestriktion bei zwei Frauengruppen mit unterschiedlichem Proteinanteil in der Ernährung (30 % in der einen und 18 % in der anderen Gruppe) verglichen. Der Gewichtsverlust war zwar ähnlich, aber der Muskelabbau war in der Gruppe mit der höheren Proteinzufuhr viel geringer und die Frauen hatten außerdem weniger Hunger. Denk daran, dass eine Gewichtsabnahme durch starke Kalorienrestriktion nicht nachhaltig ist. Der Abbau von Muskeln sollte in jedem Fall vermieden werden. 
  • Eine andere Studie vergleicht eine Diät mit einem höheren Proteingehalt (1,8 g/Kilo) und niedrigem Kohlenhydratgehalt mit einer Diät mit niedrigem Proteingehalt (0,8 g/Kilo) und hohem Kohlenhydratgehalt. Das Ergebnis: Die Gruppe mit der höheren Proteinzufuhr erzielte größere Gewichts- und Fettabnahme und konnte gleichzeitig die Muskelmasse besser erhalten. Eine andere Untersuchung kommt zu dem gleichen Ergebnis. 
  • Diese Meta-Analyse, bei der 24 Studien und mehr als 1 000 Personen ausgewertet wurden, kommt zu dem Schluss, dass eine proteinreiche Ernährung (es wurden keine spezifischen Mengen festgelegt) Vorteile beim Fettabbau, beim Erhalt der Muskelmasse und bei der Senkung der Triglyceride bietet.
  • Eine andere Meta-Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass eine höhere Proteinzufuhr zu einem stärkeren Gewichtsverlust führt.

Diese Schlussfolgerungen sind logisch, wenn man bedenkt, dass Eiweiß die Synthese neuer Muskeln unterstützt, den Stoffwechsel ankurbelt (durch eine stärkere thermogene Wirkung), die Insulinresistenz verbessert (Studie) und den Appetit zügelt.

Denke daran: Wenn du stark übergewichtig bist, solltest du deinen Proteinbedarf in Bezug auf dein Zielgewicht und nicht in Bezug auf dein aktuelles Gewicht berechnen.

Warum Protein beim Abnehmen hilft

Aufgrund der wichtigen Rolle, die Eiweiß in unserem Körper spielt, haben wir einen guten Sensor für die Menge und Qualität des Proteins entwickelt, das wir zu uns nehmen und das als Regulator für die Gesamtenergiezufuhr dient.

Studien mit Mäusen haben mehrfach gezeigt, dass die Gesamtenergieaufnahme variieren kann, wenn der prozentuale Anteil von Eiweiß in der Nahrung verändert wird (Studie). Es wurde beobachtet, dass die Maus so lange frisst, bis ihr Proteinbedarf ausreichend gedeckt ist. Je niedriger der Proteinanteil in ihrer Nahrung ist, desto mehr Kalorien nimmt sie zu sich und desto mehr Fett sammelt sich an.

Proteine und Appetitregulierung

Beim Menschen ist die Funktionsweise ähnlich. Diese Studie zeigt etwa den gleichen Effekt. Menschen, die nur 10 % Protein (bezogen auf die Gesamtkalorienmenge) zu sich nahmen, aßen kalorienreicher und waren hungriger. Durch den Erhalt von Muskelmasse während einer Diät wird außerdem der sogenannte Jo-Jo- oder Rebound-Effekt verringert (Studie).

Dieser Mechanismus wird auch als protein leverage hypothesis bezeichnet.

Auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen (in Deutschland die häufigste Todesursache) scheinen proteinreiche Diäten eine schützende Rolle zu spielen (Meta-Analyse).

Unsere Schlussfolgerung ist daher, dass die offiziellen Empfehlungen im Zusammenhang mit Protein stark von unbegründeten Ängsten beeinflusst sind.  Sie gelten nur für sehr inaktive Menschen gelten, die kein gesteigertes Interesse am Erhalt ihrer Muskeln haben (was aber leider auf viele Menschen zuzutreffen scheint). 

echte Risiken

Während wir feststellen können, dass sich Eiweißwerte im oben genannten Mengenbereich in fast allen Fällen vorteilhaft auswirken (jeder Mensch muss natürlich den für sich idealen Wert finden), kann eine Überschreitung dieser Werte zu Komplikationen führen.

Ammoniak

Während Fett ein „sauberer Treibstoff“ ist (in dem Sinne, dass bei der Verarbeitung keine giftigen Abfälle entstehen), setzt überschüssiges Eiweiß Stickstoff frei (der in der Struktur der Aminosäuren enthalten ist) und bildet Ammoniak. Diese giftige Verbindung wird in Harnstoff (ungiftig) umgewandelt, der in der Regel sicher über den Urin ausgeschieden wird. So weit, so gut.

Das Problem ist allerdings, dass unser Körper ein Limit für die Umwandlung von Ammoniak in Harnstoff hat. Werte jenseits dieser Grenze führen daher dazu, dass der zusätzliche Stickstoff als Ammoniak im Körper verbleibt, was uns nicht guttut. 

Über diesen Grenzwert gibt es unterschiedliche Meinungen.  Empirische Beobachtungen und Studien deuten aber auf einen Wert von 5 g Protein/kg hin, ab dem eine Ammoniak-„Vergiftung“ auftreten kann und zu einer Ursache für den bereits beschriebene Kaninchenhunger werden kann. 

Gärungstoxine

In unserem Körper befinden sich nicht nur Zellen, sondern auch Billionen von Bakterien (Ein 70 Kilogramm schwerer Erwachsener hat circa 38 Billionen Bakterien in sich). Wenn du also etwas isst, solltest du nicht nur an deine Zellen denken, sondern auch an die Milliarden von Bakterien in deinem Verdauungstrakt.

Die Vorteile der Fermentation bestimmter Kohlenhydrate durch diese Bakterien, z. B. die Produktion von Buttersäure, sind allgemein bekannt.

Einige Studien bringen jedoch überschüssiges Eiweiß mit der Bildung bestimmter Toxine in Verbindung, wenn Bakterien überschüssiges Protein fermentieren (Studie). Es wird spekuliert, dass dies zu Dickdarmerkrankungen beitragen könnte.

Langlebigkeit

Eine höhere Proteinzufuhr ist mit einem Anstieg der anabolen Hormone (hauptsächlich IGF-1 =  insulin-like growth factor 1) und der mTOR-Aktivität (mTOR steht für mechanistic Target of Rapamycin), verbunden, die beide mit dem Wachstum zusammenhängen. Vereinfacht kann man sagen, dass Proteine das Wachstum fördern, was auf den ersten Blick ein guter Effekt ist. Es besteht jedoch auch das Risiko, dass die falschen Dinge wachsen, z. B. Krebszellen. 

Obwohl es hierzu viele Kontroversen gibt, scheint es, dass sowohl bei Mäusen (Studie) als auch bei Menschen (Studie I, Studie II) ein höherer IGF-1-Spiegel im Laufe des Lebens mit einer geringeren Lebenserwartung zusammenhängt.  Eines der wenigen gemeinsamen Merkmale von Hundertjährigen auf der ganzen Welt sind reduzierte IGF-1-Spiegel (Studie I, Studie II) oder einfach genetische Fehler in den Rezeptoren für dieses Hormon (das bedeutet, dass dein Körper nicht weiß, wenn die Spiegel erhöht sind).

Ein zweischneidiges Schwert oder ein möglicher Pakt mit dem Teufel

Angesichts dieser und weiterer Studien über das Thema Proteine und Langlebigkeit betrachten einige Menschen eine hohe Proteinzufuhr als einen Pakt mit dem Teufel. Wir erreichen damit zwar eine Verbesserung der Gegenwart (mehr Muskeln, mehr Kraft, bessere Leistungen, weniger Gewicht …), aber bezahlen dafür mit einem höheren Risiko für künftige Krankheiten. 

Erhöhte Proteinzufuhr: Ein Pakt mit dem Teufel?

Aus der Mythologie erfahren wir, dass Pakte mit dem Teufel auf eine dieser beiden Arten enden:

  1. Der Mensch, der seine Seele verkauft, genießt den vom Teufel gewährten Ruhm in der Gegenwart, erleidet aber die versprochene ewige Verdammnis (in unserem Fall also eine kürzere Lebenserwartung).
  2. Der Unterzeichner des Paktes findet – nachdem er die vom Teufel gewährten Vorteile erhalten hat – einen Weg, die Erfüllung seines Teils des Vertrages zu vermeiden, meist dank einer versteckten Formalität im Kleingedruckten.

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Art und Weise, wie wir derzeit Protein konsumieren, uns in die Nähe der ersten Gruppe bringt. 

Neue Forschungsergebnisse legen jedoch nahe, dass viele dieser Probleme nicht mit dem Protein selbst zusammenhängen, sondern mit der Art und Weise, wie wir es in der modernen westlichen Gesellschaft konsumieren. Es scheint also einen Weg zu geben, wie wir dem Teufel ein Schnippchen schlagen können. 

Der richtige Umgang mit Protein

Angesichts dieser Risiken empfehlen viele wohlmeinende Experten als einzige Vorbeugungsmaßnahme die Reduzierung von Eiweiß (insbesondere von rotem Fleisch als Eiweißquelle). Für viele Menschen ist das jedoch ein Problem, denn die Vorteile von Eiweiß für den Muskelaufbau und die Gewichtsabnahme liegen auf der Hand. Bei den offiziellen Empfehlungen handelt es sich um einen Mindestwert, nicht um ein Optimum.
Diese Situation kommt einem faustischem Handel gleich, bei dem die Vorteile von Eiweiß in der Gegenwart auf Kosten der Probleme in der Zukunft gehen.  

Wir wissen jedoch von vielen alten Gesellschaften, die mehr tierisches Eiweiß verzehrten als wir, ohne unter den damit verbundenen Problemen zu leiden.

Ist es möglich, dass viele der Risiken auf die Art und Weise zurückzuführen sind, wie wir unser Protein konsumieren? Könnte hier der Schlüssel sein, um die Vorteile nicht für künftige Probleme zu opfern? 

Lass uns daher einen Blick auf die wichtigsten Empfehlungen werfen, wie du das Protein heute genießen kannst und gleichzeitig zukünftige Risiken minimierst 

Reduziere die Glykation bzw. Glykierung

Einer der Faktoren, die mit Krankheit und Alterung zusammenhängen, ist die Oxidation. Eine Ursache hierfür ist die Glykation von Proteinen, die entsteht, wenn reduzierende Zucker Proteine verändern und ihre biologische Funktion beeinträchtigen. Dieser Effekt wird auch als Maillard-Reaktion bezeichnet und ist auch dafür verantwortlich, dass Zucker durch Hitze karamellisiert oder Fleisch beim Anbraten braun wird.

Diabetes ist mitunter mit vielen anderen Krankheiten verbunden, da ein hoher Blutzuckerspiegel die Glykation der Proteine fördert, auf die der Zucker auf seinem Weg trifft, was etwa ein zusätzliches Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen darstellt (Studie).

Die Glykation erzeugt Verbindungen, die als AGEs (Advanced Glycation Endproducts = fortgeschrittene Glykationsprodukte) bezeichnet werden. Sie tragen zur allgemeinen Alterung des Körpers bei, indem sie die sogenannten Jugendproteine wie Kollagen und Elastin direkt angreifen.

Um die Produktion von AGEs zu verringern, ist es ratsam, die Aufnahme von Zucker und schlechten Kohlenhydraten zu reduzieren, das zu scharfe Anbraten von Fleisch zu vermeiden und allgemein nicht mit sehr hohen Temperaturen zu kochen. Durch diese Maßnahmen wird übrigens auch die Produktion potenziell krebserregender Verbindungen wie heterozyklischer Amine (HCAs) und polyzyklischer aromatische Kohlenwasserstoffe (PAKs) verringert.

Vitamin C (Studie) und grüner Tee (Studie I, Studie II) scheinen den Glykierungsprozess zu verringern.

Integriere intermittierendes Proteinfasten

Es gibt viele Faktoren, die zu einer geringeren Lebenserwartung beitragen. Einer davon ist zweifellos die Anhäufung von Schäden an den Proteinen und Mitochondrien unseres Körpers, die das Ergebnis der normalen Stoffwechselprozesse und der gerade beschriebenen AGEs sind.

Glücklicherweise sind wir mit einem Recyclingsystem ausgestattet, das diese Abfälle zur Bildung neuer, gesunder Zellen nutzt. Der einzige Nachteil ist, dass dieser Prozess, die sogenannte Autophagie, nur bei einem Ressourcenmangel ausgelöst wird, insbesondere bei einer vorübergehend niedrigen Proteinzufuhr (Studie).

Es liegt auf der Hand, dass unsere Vorfahren bei der Jagd nicht immer erfolgreich waren und es Tage gab, an denen sie wenig oder gar kein Eiweiß zu sich nahmen, was den Prozess der zellulären Müllabfuhr auslöste.

In unserer heutigen (westlichen) Welt des Überflusses müssen wir diese Fastenzeiten erzwingen. Fast alle großen Religionen sehen übrigens eine gewisse Zeit des Fleischfastens vor. Vielleicht war genau das eine der Gründe für die gesundheitsfördernde Wirkung der sogenannten Mittelmeerdiät.

Es mehren sich die Hinweise, dass die Autophagie eine Schlüsselrolle bei der Erhöhung der Lebenserwartung spielt (Studie I, Studie II) und Schutz vor den Hauptursachen moderner Zivilisationskrankheiten bietet:  

  • Sie verringert das Tumorwachstum und Entzündungen (Studie).
  • Sie senkt das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Studie).
  • Sie hilft bei der Bekämpfung von Infektionen (Studie). Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum wir keinen Hunger mehr haben, wenn wir krank sind. Es ist ein Weg für unseren Körper, die Autophagie zu aktivieren und schädliche Eindringlinge zu eliminieren.

Intermittierendes Fasten kann helfen, die Autophagie zu optimieren und es uns ermöglichen, in den Genuss der Vorteile von Protein zu kommen, ohne unter den Folgen einer ständigen Kalorienrestriktion oder einer dauerhaft niedrigen Eiweißzufuhr zu leiden.

Integriere resistente Stärke

Ein potenzielles Risiko, welches mit einer hohen Proteinzufuhr in Verbindung gebracht wird, hat mit der Bildung von Toxinen zu tun, die bei der Fermentation von überschüssigem Protein im Darm entstehen. Neuere Studien deuten darauf hin, dass Lebensmittel, die resistente Stärke enthalten, die Bildung dieser toxischen Verbindungen verhindern kann. Dies ist besonders wichtig bei sehr kohlenhydratarmen Diäten.

Resistente Stärke ist eine bestimmte Art von Ballaststoff, der zum Beispiel in Kartoffeln und grünen Bananen enthalten ist. Es handelt sich dabei um ein Präbiotikum, also um Nahrung für unsere Bakterien, die von unserem Körper nicht direkt aufgenommen werden kann.

Tipp Für Allesesser: Iss das ganze Tier

Stell dir vor, du gehst auf die Jagd und hast Erfolg. Was würdest du tun? Nur das Muskelfleisch essen und den Rest wegwerfen? Hoffentlich nicht. Als Omnivore sollte man das ganze Tier essen. In den Supermarktregalen jedoch findet man überwiegend Muskelfleisch.  

Wir gehören zu den ersten Menschen in der Geschichte, die es sich leisten können, nur einen Teil des Tieres zu essen und alles andere wegzuwerfen. Dafür bezahlen wir allerdings mit unserer Gesundheit. 

Es gibt einen Grund, warum Löwen zuerst die Organe ihrer Beute verschlingen, angefangen mit der Leber (das nahrhafteste Organ). Kurz gesagt: Nimm dir ein Beispiel an ihnen. Als Allesesser solltest du auch Organe und Knochen essen.

Vielleicht verziehst du gerade dein Gesicht. Lies aber dennoch weiter.

Denke daran, dass Eiweiß aus Aminosäuren besteht, die alle spezifische Aufgaben erfüllen. Essen wir nur Muskeln, entsteht ein Ungleichgewicht zwischen den Aminosäuren und anderen Nährstoffen. Deine Verdauung kann so nicht optimal arbeiten. 

Unser Körper braucht nicht nur bestimmte Mengen an Nährstoffen, sondern auch eine bestimmte Ausgewogenheit zwischen ihnen (z. B. das Verhältnis Omega 3 zu Omega 6 oder Natrium zu Kalium).

Der ausschließliche Verzehr von Muskelfleisch (insbesondere von rotem Fleisch) erhöht überproportional die Aufnahme der Aminosäure Methionin. Das stellt dann ein Problem dar, wenn andere Nährstoffe zum Ausgleich fehlen. 

In diesem Zusammenhang nochmals kurz zurück zum Thema Fasten: Es scheint, dass eine Beschränkung der Methioninzufuhr bereits für viele der Vorteile des Proteinfastens sorgen kann (Studie I, Studie II).

Aber das ist nicht alles. Die Erhöhung der Zufuhr von Glycin, einer Aminosäure, die in Knochen und Haut von Tieren in großen Mengen vorkommt, ergibt eine ähnliche große Schutzwirkung wie der temporäre Verzicht auf Methionin (Studie). 

Ein zu hoher Methioningehalt kann auch den Homocysteinspiegel erhöhen, der einer der Faktoren ist, die zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen (Studie). Was benötigt der Körper, um hohe Homocysteinspiegel zu neutralisieren? Die Vitamine B6, B12, Folsäure … diese Nährstoffe sind (in großen Mengen) in den Organen enthalten. Glycin selbst trägt dazu bei, Homocystein in Glutathion umzuwandeln. Glutathion ist ein starkes Antioxidans, das die Alterungsprozesse des Körpers verlangsamen kann (Studie).

Aber die Vorteile des Verzehrs von Organen gehen über die bereits beschriebenen Zusammenhänge hinaus. 

Herz

Das Herz ist sehr mager, aber reich an vielen Nährstoffen. Es zeichnet sich besonders durch seinen hohen Gehalt an dem Coenzym Q-10 aus. Hier gilt das Sprichwort „wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“, denn dieses Coenzym ist für eine gute kardiovaskuläre Gesundheit unerlässlich (Studien). Außerdem spielt es eine Rolle für die Vitalität unserer Energie- (und Fettverbrennungs-)Kraftwerke: den Mitochondrien. Funktionieren diese nicht richtig, ist es unmöglich, gesund zu sein. 

Leber

Die Leber ist ein Superfood und Multivitaminpräparat der Natur.

Eine kleine Portion Leber übertrifft – bei einer geringen Kalorienmenge – im Hinblick auf Nährstoffen bei Weitem Lachs und Vollkorn. 

Die Nährstoff- und Vitamindichte von Leber ist unglaublich hoch. Der Konsum von Leber ist ein möglicher Weg, um einige der Probleme zu vermeiden, die mit einem Überschuss an Methionin verbunden sind. Bei einigen Nährstoffen, wie Vitamin A oder Vitamin B12, ist die Leber nicht zu übertreffen. 

Dasselbe gilt für die Kupferzufuhr, denn Kupfermangel ist in unserer westlichen Ernährung ein weiterer Faktor, der zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen kann (Studie I, Studie II).

Im chinesischen Buch der Riten, einem der fünf Klassiker, die Konfuzius zugeschrieben werden, wird Leber als eine von acht Delikatessen aufgeführt. Vielleicht ist das der Grund, warum viele Untersuchungen in Asien Protein als schützenden Faktor gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs einstufen (Studie). 

Vergleicht man Leber mit rotem Fleisch, so sind die Unterschiede sowohl bei den Mikronährstoffen als auch beim Aminosäureprofil deutlich.

Aufgrund des hohen Nährstoffgehalts der Leber reicht es aus, sie gelegentlich zu essen, um bereits viele ihrer Vorteile für sich zu nutzen.

Hirn

Tierisches Hirn als Lebensmittel ist sehr reich an Omega-3-Fettsäuren, vorwiegend EPA und DHA, die wichtig sind, um Entzündungen zu verringern und die Gesundheit deines … Gehirns zu verbessern. Nicht umsonst ist das Gehirn die Basis der Zombie-Ernährungspyramide :-). 

Zombie-Ernährungspyramide

An dieser Stelle könnten wir auch noch über Nieren, Kutteln, Hoden usw. sprechen, die in vielen Kulturen als Delikatessen gelten, aber weitestgehend von den westlichen Speisekarten verbannt wurden.

Knochen

Heutzutage gibt es viele Fans von Knochenbrühe, die zweifellos die einfachste Möglichkeit ist, unseren Aminosäuren- und Mikronährstoffhaushalt auf Vordermann zu bringen. 

Obwohl viele Menschen denken, dass Knochen ungenießbar sind, sind sie eigentlich nur ein weiteres Organ, das reich an Kollagen, Kalzium und vielen anderen Nährstoffen ist. 

Fazit

Hochwertiges Eiweiß ist wichtig für unsere Gesundheit. Die offiziellen Empfehlungen sind stark von übertriebenen Ängsten über mögliche negative Auswirkungen von Protein beeinflusst. Es gibt jedoch bestimmte Aspekte des Proteinkonsums, die tatsächlich problematisch sein können.

Wenn wir aber von unseren Vorfahren lernen, insbesondere in Bezug auf Proteinfastenphasen und Verwertung des ganzen Tiers (für Allesesser) können viele der bekannten Probleme verringert werden, ohne dass wir gezwungen sind, den Eiweißanteil in unserer Ernährung zu reduzieren.

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