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Deine innere Festung #1 – Mithilfe der Stoiker besser mit Trauer und Verlust umgehen

Heute geht es um den Umgang mit der Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen und der besseren Bewältigung des entstandenen Schmerzes. 

Es ist der erste Artikel unserer neuen Reihe „Deine innere Festung“ in der wir uns tiefer mit den Ansichten der Stoiker zu Themen beschäftigen, die uns alle im Leben erwarten, herausfordern oder an unsere Grenzen bringen. 

Wir hoffen, dass die zeitlosen, verständlichen, und sofort umsetzbaren Ideen der Stoiker dir genauso viel Kraft und Aha-Momente bescheren wie uns selbst und zahllosen anderen Menschen in der Vergangenheit. 

Wir Menschen sind soziale Wesen. Nichts berührt uns mehr als der Verlust eines Familienmitglieds oder die Trennung von einem geliebten Freund, Partner oder einer wichtigen Bezugsperson.

Noch immer assoziieren viele Leute den Stoizismus oder genauer gesagt den stoischen Umgang mit Gemütsstimmungen wie der Trauer, mit einer gewissen Gefühlskälte oder gar Gleichgültigkeit. Dieses Bild ist jedoch grundlegend falsch. 

Jemandem zu sagen, dass er oder sie angesichts eines Todesfalls oder einer endgültigen Trennung nicht trauern sollte, wäre aus Sicht der Stoiker nicht nur grausam, sondern auch sinnlos. Traurigkeit ist nicht unbedingt ein Gefühl, das es zu vermeiden gilt. Es kann uns dazu motivieren, uns zu verändern oder die Unterstützung von anderen Menschen zu suchen.

Die Niedergeschlagenheit infolge eines Verlustes ist eine automatische Reaktion, die wir nicht vermeiden können. Wir können aber wohl lernen, sie ein wenig zu zähmen.  Seneca sagte dazu: „Ich werde dir nie sagen, dass du bei einem Verlust keinen Kummer empfinden sollst, aber mehr als nötig ist nur Eitelkeit“. Was wir heutzutage oft mit Tabletten zu kurieren versuchen, wurde früher mit Philosophie behandelt. 

In diesem Zusammenhang sind die sogenannten Trostbriefe oder Trostschriften (heute sagt man auch Kondolenzschreiben dazu) hervorzuheben. Sie waren in verschiedenen philosophischen Schulen verbreitet, aber die von den Stoikern geschriebenen Briefe sind besonders bekannt geworden. Neben Trost und Ermutigung schlugen sie auch gezielte Reflexionsübungen vor und lieferten überzeugende Argumente, die halfen, die Trauer zu lindern. 

Bei jeder Art von Verlust lohnt es sich daher, etwas tiefer in die Gedankenwelt der Stoiker einzutauchen und die verschiedenen Ratschläge auf sich wirken zu lassen. 

Trostbriefe zur Bewältigung von Trauer und Verlust // Foto von Dim Hou auf Unsplash

Zunächst raten uns die Stoiker, intensiver über das Leiden nachzudenken. Dabei erkannten sie an, dass die anfängliche Trauer vollkommen normal ist. Gleichzeitig warnten sie aber auch davor, dass wir ab einem bestimmten Punkt mehr durch unsere eigene Trauer als durch den erlittenen Verlust geschädigt werden.

Zudem versuchten sie, unsere Perspektive zu ändern. Wir sollten versuchen, daran zu denken, was wir an dem anderen Menschen hatten und nicht nur das hervorheben, was wir unwiederbringlich verloren haben. 

Ganz konkret kannst du dir die Frage stellen, wie viel ärmer dein Leben gewesen wäre, wenn es diese Person nicht gegeben hätte. Der Fokus sollte – nach einer Phase der akuten Trauer – auf der Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit liegen und nicht auf der Niedergeschlagenheit durch den Verlust.

Seneca formulierte es so: „Ein Teil der Menschen, die wir lieben, ist noch bei uns. Die vergangene Zeit gehört zu uns“.

Generell empfahlen die Stoiker, alles, was in unser Leben kommt, als eine Leihgabe des Universums zu betrachten, die jederzeit zurückgefordert werden kann. Dieser Gedanken kann uns dabei helfen, das, was wir haben und die Menschen, die uns begleiten, mehr zu schätzen und (etwas) weniger zu leiden, wenn wir uns von ihnen trennen müssen. Um Epiktet zu zitieren: „Wenn du dein Kind oder deine Frau küsst, denke daran, dass du einen Sterblichen küsst.“

Die Stoiker fragen uns außerdem, ob der Mensch, über dessen Verlust wir trauern, uns für so lange Zeit so niedergeschlagen sehen möchte. Ist die Antwort ja, hat diese Person unsere Tränen nicht verdient. Ist die Antwort nein, wäre wohl die beste Art, das Andenken dieser Person zu ehren, wenn wir unser Leiden beenden, welches weder ihr/ihm noch uns von Nutzen ist. 

Und schließlich gaben uns die Stoiker in ihren Trostbriefen einige Beispiele von Menschen, die ähnliche Momente durchlebt und schließlich auch überwunden haben. Wenn wir in einer schwierigen Lebensphase stecken, kann uns der Gedanke helfen, dass andere Menschen das Gleiche durchmachen mussten und mit der richtigen Einstellung nicht nur überlebt haben, sondern langfristig sogar daran gewachsen und stärker geworden sind.

Sowohl Seneca als auch Marcus Aurelius mussten mehrere eigene Kinder begraben, Sie sprachen also aus eigener Erfahrung. Beide erinnerten uns daran, dass wir Menschen dazu fähig sind, alle Arten von Tragödien zu überstehen. Die Philosophie hilft uns mit verschiedenen Strategien dabei, wieder zurück in die Spur zu finden.

Unsere Artikel in der Reihe „Deine innere Festung“ haben das Ziel, die Ansichten der Stoiker zu verschiedenen Themen etwas genauer zu erforschen und an die Quelle (sprich zu den Originaltexten) zu gehen. 

Sie haben den Zweck, dir einen tieferen Zugang zur stoischen Philosophie zu ermöglichen und dir konkrete Denkweisen und Werkzeuge an die Hand zu geben, um mit den Herausforderungen des Lebens besser umzugehen. 

An dieser Stelle noch ein Hinweis: Die längeren Zitate der Stoiker in unserem neuen Format sind an der einen oder anderen Stelle sprachlich vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig (wir sprechen immerhin von Texten, die über 2.000 Jahre alt sind :-)), sollten aber insgesamt gut zu verstehen sein. Zwar kannst du die Zitate überspringen und gleich zu unseren Schlussfolgerungen und Interpretationen übergehen, aber wir empfehlen dir den ganzen Text zu lesen und auf dich wirken zu lassen. Du wirst überrascht sein, wie wenig sich unsere Lebensumstände von den damaligen Sorgen, Nöte und Themen unterscheiden.

Eine andere Perspektive auf den Verliust (Foto von Keith Misner)

Zu diesem Zweck haben wir für das heutige Thema längere Auszüge aus mehreren Trostbriefen von Seneca, unter anderem …: 

  • Ein Trostbrief an Marcia, eine Freundin, die mehr als drei Jahre nach ihrem Verlust ihres Sohnes immer noch trauerte.
  • Ein Trostbrief an seine eigene Mutter Helvia, die darunter litt, dass ihr Sohn verbannt worden war.
  • Auszüge aus weiteren Trostbriefen

Der Trostbrief an Marcia

Zu Beginn des Briefes an Marcia mag Seneca hart erscheinen, aber man sollte bedenken, dass der Tod ihres Sohnes bereits drei Jahre her war und sie immer noch völlig verzweifelt war.

„Wenn ich nicht wüsste, Marcia, dass du von der Schwäche eines weibischen Gemütes eben so weit entfernt bist, als von den übrigen Fehlern, und man in deinem Charakter gleichsam ein Musterbild alter Zeit erblickt: so würde ich es nicht wagen, deinem Schmerze entgegenzutreten, dem selbst Männer gern nachhängen und beharrlich frönen, und ich würde nie die Hoffnung gefasst haben, es bei so ungünstiger Zeit, vor einem so feindseligen Richter und bei einer so gehässigen Beschuldigung bewirken zu können, dass du dein Geschick von der Anklage frei sprächest. Vertrauen gab mir deine schon bewährte Seelenstärke und deine durch eine schwere Probe bestätigte moralische Größe. […]

Ich habe beschlossen, mit deiner Traurigkeit einen Kampf zu beginnen, und ich will den ermüdeten und erschöpften Augen, die, wenn du die Wahrheit hören willst, schon mehr aus Gewohnheit, als aus Sehnsucht [die Tränen] fließen lassen, Einhalt tun […].  

Denn wann wird es ein Ende nehmen? Alles ist vergebens versucht worden; ermüdet ist der Zuspruch der Freunde, der Rat großer und dir verwandter Männer; die Studien, ein vom Vater geerbtes Gut, gehen mit vergeblichem und kaum für die kurze Zeit der Beschäftigung mit ihnen wirkendem Trost an tauben Ohren vorüber. Selbst jenes natürliche Heilmittel der Zeit, das selbst den größten Kummer zu beschwichtigen pflegt, hat an dir allein seine Kraft verloren. Schon ist das dritte Jahr verstrichen, ohne dass deine Trauer etwas nachgelassen hat. Wie alle Fehler sich tief im Innern festsetzen, wenn sie nicht im Entstehen unterdrückt worden sind, so nährt sich auch diese Traurigkeit, dieses Elend, dieses Wüten gegen sich selbst, zuletzt durch seine Bitterkeit, und der Schmerz wird für das unglückselige Gemüt eine verkehrte Lust.

Deshalb hätte ich gewünscht, gleich in der ersten Zeit zu dieser Heilung schreiten zu können; mit leichteren Mitteln hätte die noch im Entstehen begriffene Gewalt beschränkt werden können, mit Anwendung größerer Kraft muss gegen ein veraltetes Übel kämpfen. Denn auch die Heilung von Wunden ist leicht, wenn sie noch frisch vom Blute sind; da lassen sie sowohl sich brennen, als die Sonde tief eindringen, und nehmen die Finger der Untersuchenden auf; sind sie aber vernachlässigt, zu einem bösartigen Geschwüre geworden, so werden sie schwerer geheilt. Jetzt kann ich einem so unbeugsamen Schmerz nicht mehr mit Nachgiebigkeit beikommen; er muss gebrochen werden.

Phasen der Trauer gehören zum Leben dazu // Foto von Chris Lawton auf Unsplash

Seneca fährt mit zwei Beispielen von bekannten Frauen fort, die ebenfalls ihre Kinder verloren hatten.

Mit dieser Vorgehensweise verfolgt er zwei Ziele

  1. Die Stoiker wiederholen immer wieder, dass wir uns von etwas, das normal ist, nicht so sehr negativ beeinflussen lassen sollten. Normal ist, was die Natur oder das Schicksal jedem Menschen eines Tages beschert. Heutzutage ist die Kindersterblichkeit glücklicherweise nicht mehr mit der vor 2000 Jahren zu vergleichen. Zu Seneca’s Zeiten war es aber alles andere als ungewöhnlich, ein Kind zu verlieren (Schätzungen gehen davon aus, dass die Kindersterblichkeit in dieser Zeit bei ca. 50 % lag). Mit anderen Worten: Die Hälfte aller Kinder starb vor dem fünften Lebensjahr. Es war also eher selten, dass eine Familie nicht mindestens ein Kind vorzeitig verlor. 
  2. Seneca stellt einen klaren Kontrast zwischen den beiden Beispielen der Mütter – Octavia und Livia – her. Denn während Octavia in eine tiefe Depression fällt und nicht mehr über ihren gestorbenen Sohn sprechen kann, lernt Livia, mit dem Schmerz zu leben, die kostbaren Erinnerungen zu bewahren und das Andenken zu ehren

Seneca schreibt: 

Zwei der größten Muster sowohl deines Geschlechts als deiner Zeit will ich dir vor Augen stellen. Das eine einer Frau, die sich dem Zuge ihres Schmerzes hingab, das andere einer solchen, die, von gleichem Unfall und noch größerem Schaden betroffen, dennoch dem Unglück keine lange Herrschaft über sich gestattete, sondern ihr Gemüt schnell in seine [ruhige] Lage zurückversetzte.  Octavia und Livia […] verloren beide im Jünglingsalter stehende Söhne, beide in der sicheren Hoffnung, dass sie einst Herrscher sein würden.

Octavia verlor Marcellus […] Die ganze Zeit ihres Lebens hindurch machte sie ihren Tränen, ihren Seufzern kein Ende, und lieh keinen Worten ihr Ohr, die etwas Heilendes brachten. Sie blieb ihr ganzes Leben lang so, wie sie beim Begräbnis gewesen war, […] verschmähte sie es auch, sich aufrichten zu lassen. 

Sie hasste alle Mütter und war besonders auf Livia wütend, weil ihr Glück auf deren Sohn übergegangen zu sein schien. Mit der Dunkelheit und Einsamkeit vertraut und selbst ihrem Bruder keinen Blick schenkend, verschmähte sie die zur Feier von Marcellus Andenken verfassten Gedichte und andere Ehrenbezeigungen der Zuneigungen und verschloss ihre Ohren jedem Trost. Sich zurückziehend von den herkömmlichen Beileidsbezeugungen, und selbst das die Größe ihres Bruders allzu sehr glänzende Glück hassend, vergrub und verbarg sie sich. Während Kinder und Enkel bei ihr saßen, legte sie doch das Trauerkleid nie ab, nicht ohne Beleidigung für alle die Ihrigen, bei deren blühendem Leben sie sich doch verwaist vorkam.“

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Livia hatte ihren Sohn Drusus verloren, der ein großer Fürst geworden wäre und bereits ein großer Feldherr war. Er war tief in Germanien eingedrungen, und die Römer hatten [unter ihm] ihre Fahnen da aufgepflanzt, wo es kaum bekannt war, dass es Römer gebe. Auf dem Feldzuge war er als Sieger gestorben […]

Der Mutter war es nicht vergönnt gewesen, die letzten Küsse des Sohnes und die lieben Worte des sterbenden Mundes aufzufangen. […] und doch begrub sie, sobald sie ihn in den Grabhügel versenkte, mit ihm zugleich auch ihren Schmerz und trauerte nicht mehr, als es anständig war beim Tode eines kaiserlichen Prinzen oder gebührend gewesen wäre beim Tode eines Anderen.

Ferner hörte sie nicht auf, den Namen ihres Drusus zu feiern, sich ihn überall zu Hause und öffentlich zu vergegenwärtigen, sehr gern von ihm zu sprechen […]“ 

Nachdem er diese beiden Beispiele genannt hat, wendet Seneca sich nun erneut direkt an Marcia:

Wähle also, welches von diesen beiden Beispielen du für lobenswerter halten willst: willst du dem ersteren folgen, so schließest du dich aus der Zahl der Lebenden aus […]

Hältst du dich [dagegen] an das letztere [viel] gemäßigtere und mildere Beispiel jener so großen Frau, so wirst du ohne Trübsal sein und dich unnötig quälen. Denn welch‘ ein Unsinn ist es, sich selbst für sein Unglücklich zu strafen und seine Leiden zu vermehren! Du wirst die Tüchtigkeit und Ehrbarkeit des Charakters, die du in deinem ganzen Leben behauptet hast, auch in diesem Falle bewähren. Selbst bei der Trauer über jenen Jüngling gibt es ein gewisses Maß; indem du immer von ihm redest, immer an ihn denkst, wird er dir die würdigste Ruhe verschaffen. Du wirst ihm eine höhere Stelle anweisen, wenn er seiner Mutter so, wie er es im Leben pflegte, heiter und mit Freude entgegentritt.“

Nach der Trauer kommt das Leben irgendwann zurück
Irgendwann kommt das Licht zurück. Foto von Jan Tinneberg auf Unsplash

Seneca wählt hier eine für die Stoiker typische Argumentation, die sich darauf bezieht, dass wir Menschen im Gegensatz zu anderen Tieren unseren Problemen unnötiges Leid hinzufügen.

Einerseits gibt es echtes Unglück. Jedem von uns passieren zwangsläufig schlimme Dinge. Das jedoch ist – objektiv betrachtet – normal, unvermeidlich und gehört zur menschlichen Existenz dazu.

Aber im Nachhinein vergrößert unser Verstand die Probleme und verlängert damit das Leiden. Hiergegen können und sollten wir uns wehren, um weitere Schmerzen zu vermeiden oder zumindest abzuschwächen. 

In Seneca’s Worten: 

„Man hört das Gebrüll der Kühe einen und noch einen zweiten Tag lang, und nicht länger dauert auch das unstete und unsinnige Hin- und Herlaufen der Stuten. Das Wild, wenn es die Spur der Jungen verfolgt und die Wälder durchirrt hat, wenn es mehrmals zu der ausgeraubten Lagerstätte zurückgekehrt ist, stillt dennoch seine Wut in kurzer Zeit. Die Vögel umkreisen ihre ausgeleerten Nester mit gewaltigem Gezwitscher; jedoch in einem Augenblick beruhigt, beginnen sie wieder ihre gewöhnlichen Ausflüge. Bei keinem lebenden Geschöpf ist die Trauer nach den verlorenen Jungen von langer Dauer, als bei dem Menschen, der seinem Schmerz nachhängt und nicht bloß in dem Maße davon ergriffen wird, als er ihn [wirklich] fühlt, sondern als er ihn zu fühlen sich vorgenommen hat.“

Weiter betont er, dass alles, was wir haben und besitzen, nur eine Leihgabe des Universums ist. Wir sollten intensiv genießen, dass es/er/sie in unserem Leben ist und gleichzeitig verstehen, dass wir alles eines Tages „zurückgeben“ müssen.

„Wer in die Zukunft hinausschaut, der entzieht dem Übel, wenn es da ist, seine Kraft. Was es auch sein mag, oh Marcia, was um uns her als von Außen uns zugefallen glänzt, Kinder, Ehrenstellen, Reichtümer, geräumige Vorsäle […] eine berühmte, vornehme oder schöne Gattin und das Übrige, was vom unsicheren und veränderlichen Glück abhängt, alles das ist fremder und uns geliehener Prunk. Nichts davon wird uns als Geschenk gegeben; [nur wie] mit zusammengeliehenem und zu seinem Eigentümer wiederzurückkehrendem Gerät wird die Bühne [des Lebens] geschmückt.“

Alles ist nur eine Leihgabe des Universums // Foto von Vincentiu Solomon auf Unsplash

„Das Eine davon wird am ersten, das Andere am zweiten Tage wieder fortgetragen werden. Weniges wird uns bis zu Ende bleiben. Daher sollten wir uns nicht damit brüsten, als säßen wir in unserem Eigentum; wir haben es nur geliehen bekommen. Die Nutznießung ist unser; auf wie lange Zeit, bestimmt der, welcher Herr über sein Geschenk ist. […] Es verrät den schlechtesten Schuldner, seinen Gläubigern Grobheiten zu sagen. 

Alles, was das Glück dir gegeben hat, besitze, wie etwas, das keinen berechtigten Eigentümer hat.

In diesen Sätzen steckt etwas von der stoischen Idee der futurorum malorum præmeditatio, der negativen Visualisierung. Das bedeutet, sich genau das vorzustellen, von dem wir nicht wollen, dass es geschieht. Statt sich freiwillig zu quälen, führt diese Übung oftmals dazu, mehr das wertzuschätzen, was wir bereits haben und weniger zu leiden, wenn wir es tatsächlich verlieren. 

Seneca verwendet anschließend ein weiteres Argument, das auch bei anderen Stoikern vorkommt und das mit dem Konzept des Memento mori zusammenhängt, also mit der Erkenntnis, dass wir alle – auch unsere Kinder – sterblich sind. Jeder Mensch kommt also am gleichen Ziel an, die einen früher, die anderen später. 

„Wenn es dich schmerzt, dass dir der Sohn gestorben ist, so ist dies ein Vorwurf gegen die Zeit, in der er geboren wurde; denn der Tod wurde ihm [schon] bei der Geburt angekündigt. Auf diese Bedingung hin wurde er dir gegeben; dies Geschick verfolgte ihn gleich von Mutterliebe an. Unter der Herrschaft des Schicksals […] sind wir gekommen, um nach seiner Willkür Verdientes und Unverdientes zu erdulden

Wie kann man doch seine eigenen und die allgemeinen Verhältnisse so vergessen? Sterblich bist du geboren, Sterbliche hast du zur Welt gebracht; du, ein morscher und hinfälliger Leib und wiederholt von Krankheiten heimgesucht, glaubst in einem so schwächlichen Stoffe etwas Festes und Ewiges zu tragen? Dein Sohn ist gestorben, d. h. er ist an das Ziel gelangt, dem alle zueilen, die du für glücklicher hältst, als deine Leibesfrucht. Dahin wandert, [nur] ungleichen Schrittes, jener ganze Haufen, der auf dem Marktplatz in Prozessen streiten, in den Theatern sitzt, in den Tempeln betet. Sowohl was du liebst, als was du verachtest, wird, zu Asche geworden, einander gleich werden.“

Einzelne Passagen stammen aus dieser Übersetzung (Verlinkung auf die Amazon-Produktseite)

Weiter im Text hebt Seneca noch hervor, dass ein Teil unseres Leids selbst verursacht ist. Es sind unsere eigenen Gedanken, die uns quälen. Jedes Unglück bekommt die Bedeutung, die wir ihm zuschreiben

Danach philosophiert er darüber, was der Tod wirklich ist und dass wir ihn weder fürchten noch so stark unter dem Tod geliebter Menschen leiden sollten. Aber wir lassen diesen Gedanken hier zunächst so stehen, denn er wird in einem anderen Trostbrief noch ausführlicher behandelt.

Zum Ende zählt Seneca noch einige Beispiele von bekannten Menschen seiner Zeit auf, denen es schlecht erging, gerade, weil sie länger lebten. Er argumentiert, dass ihnen als auch ihrer Familie, wenn sie früher gestorben wären, viel unnötiges Leid erspart geblieben wäre. 

Bedenke, wie viel Gutes der Tod zu gelegener Zeit hat, wie vielen es geschadet hat, dass sie länger lebten. Hätte den Cnejus Pompejus, jene Zierde und Stütze des Reichs, zu Neapel die Krankheit hingerafft, so wäre er unbezweifelt als der Erste des Römischen Reichs gestorben. So aber hat ihn der Zusatz einer kurzen Zeit von seiner Höhe herabgestürzt. Er sah [noch] die Legionen vor seinen Augen niedergemetzelt, und ein wie unglückseliger Überrest aus jener Schlacht, in welcher der Senat das erste Treffen bildete, war es, dass der Feldherr selbst noch übrig geblieben war! Er sah [noch] den ägyptischen Henker und überließ seinen Leib, den die Sieger für unantastbar gehalten, einem Trabanten, und hätte, auch wenn er unverletzt geblieben wäre, seine Rettung dennoch nur bedauern können. Denn was wäre schimpflicher gewesen, als wenn Pompejus durch die Gnade eines Königs gelebt hätte?“

Seneca greift hier auf zwei stoische Werkzeuge zurück: Die Vogelperspektive (einen anderen Blickwinkel auf das Geschehene einnehmen) und die kognitive Distanzierung, die uns hilft, uns von bestimmten Gedanken und Denkmustern zu entkoppeln. 

Auf das typische Argument „er (oder sie) ist zu früh gestorben“, das Marcia anscheinend geäußert hat, antwortet Seneca zum Beispiel folgendermaßen:

„Du klagst, Marcia, dass dein Sohn nicht so lange gelebt habe, als er hätte leben können? Woher weißt du denn, ob es ihm länger gefrommt hätte? Ob dieser Tod nicht sein Glück war? Wen kannst du heutzutage finden, dessen Verhältnisse so gut bestellt und begründet wären, dass er im Verlaufe der Zeit nichts zu fürchten hätte? [Alles] Menschliche gleitet und fließt dahin und kein Teil unseres Lebens ist so verwundbar und zart, als der, welcher uns der liebste ist. Daher ist den Glücklichsten der Tod zu wünschen, weil bei der so großen Unbeständigkeit und Verwirrung der Verhältnisse nichts gewiss ist, als, was vorüber ist. Wer bürgte dir dafür, dass der so schöne und angesichts einer üppigen Stadt mit größter Bewahrung der Keuschheit erhaltene Körper deines Sohnes den Krankheiten so hätte entgehen können, dass er seine Schönheit unversehrt bis ins Greisenalter hinübergetragen hätte?

Zuerst nimm an, er wäre am Leben geblieben; nimm das längste Lebensziel, bis zu welchem dem Menschen zu gelangen, gestattet ist, wie kurz ist es? Für eine überaus kurze Zeit geboren, um bald wieder abzutreten von einem Orte, der uns nur auf diese Bedingungen hin verpachtet ist, sehen wir uns nach einer Herberge um. Ich spreche von unserer Lebensdauer, von der es bekannt ist, mit wie unglaublicher Schnelligkeit sie dahinfliegt. Überschläge doch die Zeitalter der Städte und du wirst sehen, wie selbst die, welche sich ihres Alters rühmen, gar nicht lange gestanden haben. Alles Menschliche ist kurz und hinfällig und nimmt von der unendlichen Zeit einen Teil ein, der ein Nichts ist. Diese Erde mit ihren Städten und Völkerschaften, ihren Flüssen und dem Umfange des Meers betrachten wir als einen Punkt, wenn wir sie in Beziehung zu dem Weltall bringen; einen noch kleineren Teil aber, als ein Punkt, nimmt unsre Lebensdauer ein, wenn wir sie mit der ganzen Zeit vergleichen, deren Maß größer ist, als das der Welt, da ja diese im Verlauf jener so oft ihre Bahn aufs Neue durchmisst. Was also liegt daran, dass weiter auszudehnen, dessen Zuwachs, wie groß er auch immer sein möge, doch nicht weit von Nichts entfernt sein wird? Nur in einem Falle ist, was wir durchleben, viel, wenn es uns genug ist.

Magst du mir, wenn’s dir gefällig ist, Männer von einem als denkwürdig aufgezeichneten hohen Greisenalter nennen, indem du hundertundzehn Jahre aufzählst: wenn du deine Gedanken auf die ganze Zeit richtest, so wird zwischen der kürzesten und der längsten Lebensdauer kein Unterschied sein, sobald du nach Betrachtung der langen Zeit, die Einer lebte, damit die lange Zeit vergleichst, die er nicht gelebt hat.“

Die andere Sichtweise, die Seneca mit dieser Argumentation darlegt, ist, dass die Länge unseres Lebens im Vergleich zur Weite der gesamten Zeit (und selbst in Bezug auf das Lebensalter des ältesten Menschen) der berühmte Tropfen auf den heißen Stein ist. 

Der Brief an Helvia

Wir wenden uns nun dem zweiten Trostbrief zu, den er an seine Mutter Helvia schrieb, als er auf Korsika im Exil lebte und ihm die Einreise nach Rom verboten war.

Seneca beginnt damit, dass er die vielen Widrigkeiten beschreibt, die er in seinem Leben bereits überwunden hat. In typischer stoischer Manier sagt er ihr, dass das Unglück einen Vorteil hat: Es macht die Betroffenen immer härter und stärker. 

Diese Denkweise wenden auch wir ständig in unserem Leben an. Es ist hilfreich, Probleme als Herausforderungen zu sehen, die es zu bewältigen gilt oder als Prüfungen, die uns auferlegt werden. Auf diese Weise können wir besser mit den Situationen umgehen, als wenn wir sagen würden „warum passiert das ausgerechnet mir?“

Anschließend versucht Seneca, seiner Mutter zu versichern, dass es ihm trotz seiner Verbannung gut geht und es ihm an nichts fehlt. Hier müssen wir uns daran erinnern, dass für die Stoiker keine äußeren Einflussfaktoren schlecht sind, schließlich haben sie ihre innere Festung und jederzeit die Macht und Kontrolle über ihre Gedanken. Das einzig Verwerfliche wäre es, gegen die Tugend zu handeln.

Damit will er zum Ausdruck bringen, dass ihn nichts daran hindert, das Richtige zu tun, auch wenn er in Verbannung leben muss. Die Stoiker empfahlen auch, sich daran zu erinnern, dass es nur wenige lebensnotwendige Dinge gibt und man deshalb auch im Exil glücklich leben kann. 

„Die Natur hat dafür gesorgt, dass es, um glücklich zu leben, keines großen Apparats bedarf; ein Jeder kann sich glückselig machen. Die zufällig kommenden Umstände sind von geringer Bedeutung und haben nach keiner von beiden Seiten hin einen großen Einfluss; den Weisen machen weder günstige Umstände stolz, noch schlagen ungünstige ihn nieder; denn stets hat er sich bestrebt, das Meiste auf sich selbst zu setzen, und alle Freude in sich selbst zu suchen.

Nur für die ist es hart, denen es plötzlich kommt; leicht erträgt es, wer es immer erwartet. Denn auch des Feindes Ankunft schlägt [nur] diejenigen zu Boden, die sie unvermutet überrascht; die sich aber auf den bevorstehenden Krieg vor dem Kriege vorbereitet haben, fangen wohlgeordnet und bereit den ersten Streich, welcher am meisten in Verwirrung bringt, leicht auf.

Nie habe ich dem Glücke getraut, auch wenn es Frieden zu halten schien: Alles das, was es mir höchst gnädig zuerteilte, Geld, Ehrenstellen, Gunst, habe ich an einen solchen Ort gestellt, von wo es solches wieder wegnehmen konnte, ohne dass es mich berührte. Ich erhielt zwischen jenen Dingen und mir eine große Kluft, und so hat es denn dieselben wieder weggenommen, aber nicht losgerissen. Noch keinen hat das Unglück gebeugt, außer wenn das Glück getäuscht hatte.

Foto von Zach Reiner auf Unsplash

Weiter führt er aus, dass wir im Angesicht von Glück oder Unglück gleichermaßen die Ruhe bewahren sollen und nicht – im Falle eines positiven Ereignisses – nur an uns selbst denken sollten oder bei einem Schicksalsschlag unnötig leiden. 

„Daher habe ich immer die Ansicht vertreten, dass es in den Dingen, die sich jeder wünscht, kein wirkliches Gut gibt. Dann habe ich nur eitle, mit glänzender und auf Täuschung berechneter Schminke überzogene Dinge darin gefunden, die innerlich nichts haben, was ihrer Außenseite ähnlich wäre. So finde ich in dem, was man Übel zu nennen pflegt, nichts so Schreckliches und Hartes, wie es die Meinung der Menschen voraussagte.“

Anschließend wendet Seneca das stoische Werkzeug der Zerlegung an, bei der er die Ängste und Begierden auf deren jeweilige Bestandteile herunterbricht. Auf diese Weise können wir sowohl den Dingen, die wir begehren, als auch den Dingen, vor denen wir uns fürchten, ihre Kraft nehmen. 

Marcus Aurelius schrieb zum Beispiel, dass seine luxuriöse kaiserliche Toga nichts weiter als mit zermahlenen Krustentieren gefärbtes Schafshaar sei, Wein einfach nur vergorener Traubensaft und sein Essen der Kadaver eines Tieres sei. Diese Entglorifizierung half ihm, diese Dinge nicht zu sehr zu begehren und sich seine Freiheit zu bewahren.

Seneca geht in dem Brief an seine Mutter Helvia ähnlich vor, wenn er fragt, was für die Menschen so schlimm an der Verbannung ist und warum er es nicht so sieht.  

Lasst uns sehen, was die Verbannung wirklich ist. Es ist ein Ortswechsel, der nicht den Anschein erweckt, als würde er das verbergen, was an ihm falsch ist. Auf diesen Ortswechsel folgt eine Reihe von Rückschlägen: Armut, Unehre, Verachtung. Gegen diese werde ich später argumentieren. Für den Moment möchte ich erst einmal betrachten, welche Bitterkeit der Ortswechsel selbst verursacht, und dann fortfahren, warum der Ortswechsel nicht so schlimm ist oder die Unehre, die Verachtung oder die Armut.“

Seneca war zu seiner Zeit ein außergewöhnlich wohlhabender Mann. Er fährt fort:

„An der Armut ist nichts auszusetzen. Jeder, der bislang nicht dem Wahnsinn von Gier und Luxus verfallen ist, der alles auf den Kopf stellt, versteht das. Wie wenig ist in der Tat für den Unterhalt des Menschen notwendig, und wem kann es daran mangeln, vorausgesetzt, er hat irgendeine Tugend? Was mich im Besonderen betrifft, so verstehe ich, dass ich nicht Reichtümer, sondern Sorgen verloren habe. Die Ansprüche des Körpers sind gering: Er will die Kälte abhalten, Hunger und Durst mit Nahrung stillen. Was außerdem gewünscht wird, ist Arbeit für Laster, nicht für Notwendigkeiten.“

Anschließend macht er sich über die Bankette und die Exzesse seiner Zeit lustig. Wir reden hier – das sollten wir nicht vergessen – von einem Zeitzeugen, der vor 2000 Jahren gelebt hat.  

Seneca schreibt verächtlich, dass diese Leute von überall her alles für ihre Völlerei heranschaffen lassen und das Gewöhnliche verabscheuen. Nur das Beste scheint ihnen gut genug zu sein. Sie erbrechen, um zu essen und essen, um zu erbrechen. Sie lassen sich nicht einmal dazu herab, die Köstlichkeiten richtig zu verdauen, die sie in der ganzen Welt suchen.

Erbärmlich sind die, deren Appetit nur durch teure Köstlichkeiten angeregt wird! Dabei sind es nicht der exquisite Geschmack oder andere Reize, die den Gaumen ansprechen, die sie teuer machen, sondern die Knappheit und die Schwierigkeit, sie zu bekommen.

Andererseits, wenn sie sich entschließen, zur Vernunft zu kommen, wozu benötigt man dann so viele Ressourcen im Dienste des Magens, so viel Handel, die Wälder zu verwüsten, den Abgrund zu durchforsten? Die Nahrung, die die Natur bereitgestellt hat, ist überall. Überall ziehen sie wie Blinde an dir vorbei, und sie reisen durch alle Länder, sie überqueren die Meere. Und obwohl sie ihren Hunger mit wenig Aufwand stillen können, reizen sie ihn mit viel aus Gier. Für die Natur ist nichts genug; selbst ein wenig ist genug. Die Armut bringt den Verbannten also keine Schwierigkeiten. In der Tat ist kein Exil so elend, dass es nicht fruchtbar genug wäre, um einen Menschen zu ernähren.“

Und dann, als letzten Gedanken dieses Briefes, wiederholt Seneca mit anderen Worten eine Auffassung, die er bereits gegenüber Marcia erwähnt hatte.

Trauern ist gesund und notwendig, aber es muss ein Ende haben. So stand es im Gesetz, und ebendarum gewährten unsere Vorfahren denjenigen, die um ihre Männer trauerten, eine zehnmonatige Frist. Um einen Kompromiss mit der Hartnäckigkeit der weiblichen Fiktion zu schließen, haben sie die Trauer nicht durch eine gesetzliche Bestimmung verboten, sondern ihr ein Ende gesetzt. Denn endlosen Kummer über den Verlust des Liebsten zu empfinden, ist törichte Zärtlichkeit. Und überhaupt keine zu empfinden, ist unmenschliche Härte. Das ideale Gleichgewicht zwischen Zuneigung und Vernunft besteht darin, die Sehnsucht zu spüren und gleichzeitig zu zügeln.

An diesem Beispiel sehen wir wieder einmal, dass die Stoiker keineswegs vorschlugen, dass wir nicht fühlen oder Gefühle unterdrücken sollten, wie manche glauben. Vielmehr sprachen sie davon, sie zu zähmen und Emotionen und Vernunft in Einklang zu bringen. Sehnsucht zu empfinden, aber gleichzeitig weiterzuleben und das Richtige zu tun. Und sich nicht im Elend zu vergraben, wie Marcia es lange Zeit getan tat.

Verstorbene Menschen haben uns nicht verlassen. Sie gehen uns voraus. // Foto von Sabbir Rahaman auf Unsplash

Gedanken aus anderen Trostbriefen

Zum Schluss möchten wir noch einige Gedanken aus anderen Trostbriefen von Seneca zusammenfassen. 

So erwähnt er in einem anderen Brief, dass man sich nicht beklagen sollte, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist, weil das gleiche Schicksal uns allen widerfahren wird. Die Menschen haben uns demnach nicht verlassen, sondern sie gehen uns einfach voraus. 

Ein weiterer Gedanke ist, dass Trauer, die über die notwendige Trauer hinausgeht, nichts Gutes bewirkt. Sie hilft weder einem selbst noch dem Gestorbenen.  Es hat keinen Sinn, etwas zu verlängern, was nutzlos ist.

Ein weiterer interessanter Punkt bei den Stoikern ist, dass sie keine klare Position dazu hatten, was nach dem Tod passiert. Am ehesten waren sie noch der Meinung, dass – wenn es noch etwas nach diesem Leben gibt – es wahrscheinlich besser sein wird als unser Dasein auf Erden. Wenn dagegen das Nichts auf uns wartet, werden wir zumindest keinen Schmerz empfinden, also sollte uns dieser Gedanke auch nicht beunruhigen.

Diese Sichtweise steht im Kontrast zu vielen Glaubens- und Denkrichtungen, die danach kommen. 

Das Christentum zum Beispiel hat zwar einige Ideen aus dem Stoizismus übernommen, aber es behauptet, dass es nach diesem Leben ein Paradies gibt. Es ist offensichtlich eine bessere „Marketingstrategie“, den Glauben an ein ewiges Paradies nach dem Tod zu verkaufen als die stoische Unsicherheit, dass wir nicht wissen, ob es noch etwas kommt oder nicht.

Zum Abschluss kommen wir noch zu ein paar weiteren Textpassagen von Seneca, die wir sehr überzeugend und hilfreich finden. Es geht darum … 

„… zu versuchen, die Zeit, die wir mit geliebten Menschen verbringen, als Geschenk zu sehen und deshalb, wenn jemand geht, zu versuchen, Freude an der Erinnerung an diese Zeit zu empfinden und nicht Mitleid, weil es sie nicht mehr gibt. Das heißt, Dankbarkeit dafür zu empfinden, dass die Beziehung existierte, und nicht Traurigkeit darüber, dass sie beendet wurde.

Denke daran, dass dir kein Unrecht angetan wurde, weil du einen Bruder verloren hast, sondern dass dir eine Gunst gewährt wurde, weil du so lange so viel von seiner Zuneigung genießen konntest und darfst. Ungerecht ist derjenige, der das Recht, über seine Gabe zu verfügen, nicht zulässt.

[…]

Wir müssen also den Geist in die Vergangenheit projizieren und uns das, was uns einmal erfreut hat, ins Gedächtnis rufen und es immer wieder in unseren Gedanken untersuchen. Die Erinnerung an Freuden ist dauerhafter und beständiger als ihre Anwesenheit. Zähle es daher zu deinen größten Vorzügen, dass du einen ausgezeichneten Bruder hattest. Es gibt keinen Grund für dich, darüber nachzudenken, wie lange du ihn noch hättest haben können, sondern wie lange du ihn schon hast. Die Natur hat ihn dir nicht als Eigentum gegeben, genauso wenig wie sie ihn anderen Brüdern gegeben hat, sondern sie hat ihn dir geliehen.

[…]

Es ist ein Trost, seinen Schmerz mit vielen zu teilen. Deshalb ist es gut, sich in dieser Zeit daran zu erinnern, dass wir nicht allein sind, dass wir alle zusammen in diesem Ding sind, das wir Leben nennen und nichts anderes.“

Denjenigen von euch, die es bis hierher geschafft haben :-), danken wir für das aufmerksame Lesen. Wir hoffen, dass dir der erste Artikel in der neuen Reihe „Deine innere Festung“ gefallen hat und dir eines Tages ein wenig helfen wird.

In Folge 2 der inneren Festung geht es darum, wie du deine Lebenszeit sinnvoll nutzen kannst.  

Alles wird schöner, wenn man es teilt 🙂

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