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Warum du keine Kalorien zählen musst

Heute erfährst du, warum du in der Regel auf das Zählen von Kalorien verzichten kannst, wenn du dich an ein paar einfach Regeln hältst. 

In der Biologie, wie auch im Leben, müssen wir lernen, zwischen den naheliegenden und den eigentlichen Ursachen zu unterscheiden. Die naheliegenden Ursachen erklären das Was und das Wie, die eigentlichen Ursachen klären das Warum.

Die offiziellen Botschaften zur Kontrolle des eigenen Gewichts konzentrieren sich (auch weiterhin) auf die naheliegende Ursache: die Energiebilanz. Fettleibigkeit wird dadurch verursacht, dass mehr Kalorien aufgenommen als verbraucht werden. Die Lösung für dieses „Problem“ liegt auf der Hand: Man sollte weniger essen und sich mehr bewegen. Dazu sollten die aufgenommenen und verbrauchten Kalorien nach Möglichkeit aufgezeichnet werden, um eine gewisse, nüchterne Objektivität zu gewährleisten.

Die eigentliche Ursache ist dagegen nicht so trivial. Fettleibigkeit ist letztlich das Ergebnis einer evolutionären Inkohärenz zwischen dem, was unsere Gene erwarten, und der Umwelt, in der wir leben. Die moderne (westliche) Welt bringt unseren Hunger-Sättigungs-Zyklus durcheinander, stört den zirkadianen Rhythmus, schädigt unsere Mikrobiota und beseitigt thermische und physische Herausforderungen. Alle diese Faktoren tragen zum Energieungleichgewicht bei.

In Bezug auf Lebensmittel wäre die naheliegende Ursache, dass wir zu viel essen, der eigentliche Grund aber, dass wir uns schlecht oder ungesund ernähren. Die Lösung im ersten Fall ist, die Kalorienaufnahme zu drosseln und im zweiten Fall, besser zu essen.

Sollten wir uns dann auf die Kalorien oder auf unsere Ernährung konzentrieren? Unsere Empfehlung ist, zuerst das Warum zu verstehen (= die eigentliche Ursache), aber nicht das Was und das Wie zu ignorieren (= die naheliegende Ursache).

In Anwendung dieses Grundsatzes sprechen wir heute darüber, warum man im Allgemeinen keine Kalorien zählen muss. An anderer Stelle werden wir dann erklären, warum das Kalorienzählen in manchen Fällen dennoch hilfreich sein kann.

Beginnen wir mit den fünf Gründen, warum das Zählen von Kalorien meist nicht besonders hilfreich ist.

1. Fehler bei der Erfassung der Kalorien

Pflanzen können die benötigte Energie durch die Sonne gewinnen, wir Menschen sind dagegen auf Kalorien aus der Nahrung angewiesen.  

Auf den ersten Blick scheint es relativ einfach zu sein, die aufgenommenen Kalorien aufzuzeichnen und dann eine Gesamtsumme zu ermitteln. Leider kann die menschliche Biologie aber nicht präzise durch einen mathematischen Ansatz abgebildet werden. 

Zunächst einmal zeigen Lebensmitteldatenbanken immer Durchschnittswerte an. Zwischen den unterschiedlichen Sorten desselben Lebensmittels gibt es aber große Unterschiede. 

Vielleicht trägst du in deiner App zum Kalorienzählen eine mittelgroße Tomate ein, was einen erheblichen Unterschied zur Realität bedeuten kann. 

Die Datenerfassung von Kalorien ist fehlerhaft // Foto von Vince Lee auf Unsplash

Selbst wenn du die Angaben auf den Produktetiketten verwendest, liegst du oftmals falsch, da diese die tatsächliche Kalorienmenge um 8–18 % unterschätzen (Studie).

Entscheidend sind aber letztlich nicht die Kalorien, die du isst, sondern die Kalorien, die dein Körper aufnimmt. Auch hier gibt es große Unterschiede:

  • Die Art der Zubereitung hat einen Einfluss auf die absorbierte Energie (Studie). Das Abkühlen und Wiederaufwärmen bestimmter Speisen erhöht unter anderem den Gehalt an resistenter Stärke.
  • Die Mikrobiota jedes Einzelnen beeinflusst auch die Fähigkeit, Energie aufzunehmen, was einen Unterschied von mehr als 10 % zwischen Person A und Person B ausmachen kann (Studie IStudie II).

Und schließlich hängt die Bestimmung der aufgenommenen Kalorien von vielen weiteren Faktoren ab, zum Beispiel von der metabolischen Flexibilität, dem Training oder dem hormonellen Umfeld. 

2. Fehler bei der Einschätzung des eigenen Kalorienverbrauchs

Wenn es schon schwierig ist, die zugeführten Kalorien richtig zu erfassen, ist die Einschätzung der verbrauchten Kalorien noch komplizierter. 

Vereinfacht gesagt, verbrennen wir Kalorien über drei Wege: den Grundumsatz, die Thermogenese und die Bewegung.

Schauen wir uns die möglichen Fehlerquellen nun etwas genauer an: 

Unterschiede beim Grundumsatz

Standardformeln verwenden Variablen wie Gewicht, Größe, Geschlecht oder Alter zur Schätzung deines Grundumsatzes, aber es gibt noch viele andere Faktoren, die einen relevanten Einfluss haben können. Hierzu einige Beispiele:

Braunes Fett hilft, mehr Kalorien zu verbrennen. Quelle: Pubmed (Klick auf das Schaubild)

Unterschiede bei der Thermogenese

Jeder Makronährstoff hat eine andere Wirkung. Eiweiß erzeugt zum Beispiel eine viel größere Thermogenese als Fett oder Kohlenhydrate (Studie).

Und es sind nicht nur die Makronährstoffe, die einen Einfluss haben, sondern auch die Art der Lebensmittel. Bei der gleichen Kalorienmenge und enthaltenen Makronährstoffen sorgen unverarbeitete oder echte Lebensmittel für mehr Thermogenese als verarbeitete Lebensmittel

Thermogenese von Vollwertkost (weißes Quadrat) im Vergleich zu verarbeiteten Lebensmitteln (schwarzes Dreieck). Quelle: Pubmed (Klick auf die Grafik)

Über die Thermogenese hinaus bedingen die verschiedenen Makronährstoffe die Stoffwechselwege, die unser Körper nutzt. Diese wiederum unterscheiden sich in ihrem Energieaufwand.

Eine starke Einschränkung der Kohlenhydrate zum Beispiel erhöht die Glukoseproduktion über die sogenannte Glukoneogenese. Dieser Prozess ist stoffwechselintensiv und erfordert ein Drittel der resultierenden Endenergie, wodurch die verfügbaren Kalorien, die als Fett gespeichert werden könnten, begrenzt werden (Studie).

Dies ist einer der metabolischen Vorteile einer Erhöhung des Eiweiß- und einer Reduzierung des Kohlenhydratanteils (Studie IStudie IIStudie III). Wenn dein Ziel jedoch darin besteht, an Masse zuzulegen, wird dieser zusätzliche Aufwand zu einem Nachteil.

Unterschiede in der Bewegung

Wie wir bereits gesehen haben, gliedert sich der Bewegungsaufwand in zwei Teile: bewusstes Training und NEAT (= Non-Excercise Activity Thermogenesis oder sportunabhängige Thermogenese).

Zwar ist es ein weitverbreiteter Irrtum, dass Sport nur dazu dient, Kalorien zu verbrennen, aber auch die Formeln zur Schätzung des Energieverbrauchs durch körperliche Aktivität weisen eine beträchtliche Fehlerspanne auf. Und obwohl Geräte wie fitbit generell empfehlenswert sind, weil sie zu mehr Schritten motivieren, weisen sie Unterschiede von 10 bis 20 % bei der Schätzung des Kalorienverbrauchs auf (Studie IStudie II).

Wie wir weiter unten sehen werden, ist die sportunabhängige Alltagsbewegung (= NEAT) sogar noch schwieriger einzuschätzen, weil sie teilweise vom Gehirn willentlich gesteuert wird.

3. Der Kalorienverbrauch hängt von der Kalorienaufnahme ab

Dein Körper verwaltet Energie genauso, wie du deine Finanzen verwaltest. Wenn dein Einkommen sinkt, vermeidest du überflüssige Ausgaben. Verbessert sich deine Situation dagegen, kaufst du dir vielleicht eher eine teure Spielerei.

Wenn du deinem Körper weniger Energie zuführst, verbraucht er weniger (Studie). Wenn du ihm mehr zuführst, verbraucht er mehr (Studie). Dies wird auch als adaptive Thermogenese (Studie IStudie II) bezeichnet, die zwei der oben genannten Variablen beeinflusst:

  • Grundumsatz. Der größte Teil deines Grundumsatzes ist notwendig, um dich am Leben zu halten, aber es gibt immer ein gewisses Sparpotential (Meta-AnalyseStudie IStudie II, Studie III, Studie IV).
  • NEAT (= Non Exercise Activity Thermogenesis). Darunter versteht man alle Bewegungen, die nicht direkt auf ein bewusstes körperliches Training zurückzuführen sind: Schnürsenkel zubinden, das Tippen auf der Tastatur oder der Wechsel der Körperhaltung im Sitzen. Ein Teil dieses Verbrauchs ist unbewusst und wird von deinem Körper auf der Grundlage der verbleibenden Energie reguliert (Studie IStudie IIStudie III). Er passt nicht nur das Ausmaß der Bewegung an, sondern auch die Effizienz (Studie).

Auch bei dieser Anpassung gibt es große Unterschiede. Bei demselben Überschuss an Kalorien pro Tag nehmen manche Menschen viel mehr zu als andere (Studie).

Die Genexpression wirkt sich auch auf die Energieregulierung aus (Studie) und wird während der Schwangerschaft programmiert.

4. Die Kalorienaufnahme hängt vom Kalorienverbrauch ab

Die Energieregulierung ist bidirektional. Veränderungen des Inputs wirken sich direkt auf den Output aus. Veränderungen des Outputs beeinflussen aber auch den Input. Je mehr du dich körperlich betätigst, desto mehr steigt dein Appetit (Studie IStudie IIStudie III).

An dieser Stelle ein wichtiger Hinweis: Dies soll keinesfalls heißen, dass Sport nicht zur Gewichtsabnahme beitragen würde. Zum einen, weil der gesteigerte Appetit in der Regel geringer ist als die durch das Training verbrannten Kalorien. Zum anderen, weil Sport und Bewegung über den Kalorienverbrauch hinaus vorteilhaft sind und etwa zu einem verbesserten Hormonhaushalt und einer verbesserten Mitochondrienfunktion führen, die später indirekt zu einer besseren Energieregulierung beitragen.

5. Die Kalorienaufnahme hängt von der vergangenen Kalorienaufnahme ab

Die Wahl der Lebensmittel wirkt sich auf das Sättigungsgefühl aus, also darauf, wann du wieder hungrig bist und wie viel du beim nächsten Mal essen wirst.

Das Sättigungsgefühl hängt von kognitiven, sensorischen und ernährungsphysiologischen Faktoren ab (mehr Details). Eiweiß ist zweifelsohne der sättigenste Makronährstoff (Studie IStudie II), aber auch die Menge an aufgenommenen Ballaststoffen und die Wassermenge spielen eine Rolle.

Geht es nach dem Sättigungsindex, ist das sättigendste Lebensmittel die gekochte Kartoffel, gefolgt von Fisch und Fleisch, Obst wie Orangen oder Äpfel und einigen Getreidesorten wie Hafer.

Und was sind die am wenigsten sättigenden Lebensmittel? Alle, die auf raffiniertem Mehl basieren, wobei zuckerhaltige Lebensmittel noch schlechter abschneiden. 

Kurz gesagt, die einfache Gleichung Kalorienaufnahme – Kalorienverbrauch = Gewichtsveränderung ist in der Realität eher ein komplexes Geflecht, in dem alles mit allem zusammenhängt. Vereinfachende Maßnahmen sind in einem komplexen Umfeld oftmals zum Scheitern verurteilt.

Quelle: Pubmed (Klick auf das Schaubild)

Der Schlüssel zum Abnehmen ohne Kalorienzählen

Ist man von Bäumen umgeben, verliert man den Wald aus den Augen. Wenn man nur auf die Kalorien schaut, verliert man das Essen aus den Augen und verliert Stück für Stück sein Körpergefühl. 

Unsere Vorfahren wussten nicht, was Kalorien sind. Die einzigen übergewichtigen Lebewesen sind Menschen, Haustiere und andere vom Menschen gefütterte Tiere.

Hier sind unsere fünf Empfehlungen (in absteigender Wichtigkeit), um ein gesundes Gewicht zu erreichen und dieses zu erhalten, ohne Kalorien zu zählen:

  1. Bevorzuge echte Lebensmittel. Das ist die mit Abstand wichtigste Empfehlung. Ernähre dich von Lebensmitteln mit hoher Nährstoffdichte und Sättigung (Brot, Müsli und Mehlspeisen fallen nicht in diese Kategorie) und wenn du sie selbst zubereiten und kochen kannst, umso besser (Studie).  
  2. Achte auf eine ausreichende Protein- oder Eiweißzufuhr. Eiweiß sättigt nicht nur besser und erhöht den Energieverbrauch, sondern schützt auch deine Muskeln bei einem Kaloriendefizit.
  3. Passe die Kohlenhydrate an deine körperliche Aktivität an, indem du dir etwa stärkehaltige Lebensmittel für die Zeit nach dem Training aufhebst. 
  4. Integriere Refeeds oder Ladetage in dein Leben. Lineare Diäten funktionieren aufgrund der adaptiven Thermogenese irgendwann nicht mehr. Durch Refeeds wird diese Anpassung gleichzeitig vermieden und die Diät erträglicher gemacht.
  5. Experimentiere mit intermittierendem Fasten. Neben den direkten gesundheitlichen Vorteilen hilft es in vielen Fällen, die Kalorienzufuhr zu regulieren und die Beziehung zum Essen zu verbessern (Meta-Analyse).

Sollte man immer auf das Zählen von Kalorien verzichten?

Heute haben wir uns auf die eigentlichen Ursachen des Übergewichts konzentriert, aber wir dürfen auch die naheliegenden Ursachen nicht außer Acht lassen.

Manche Menschen halten sich an die oben genannten Empfehlungen und erreichen ihre Ziele trotzdem nicht. Einige, weil sie mehr Struktur benötigen, andere, weil sie sehr spezifische Ziele für ihre Körperzusammensetzung haben. In diesen Fällen kann es sinnvoll sein, Kalorien zu zählen.

Alles wird schöner, wenn man es teilt 🙂

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