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Nährstofftriage, Mangelerscheinungen und Risiken von Nahrungsergänzungsmitteln (Vitamin D, Kalzium, Magnesium…)

Im heutigen Artikel erfährst du, was es mit einer Nährstofftriage auf sich hat, welche Mangelerscheinungen in Bezug auf Mikronährstoffe häufig vorkommen und was man bei der Nahrungsergänzung beachten sollte. 

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Die erbitterten Schlachten um die vermeintlich ideale Ernährung werden fast immer in der Makronährstoff-Arena ausgetragen. Fast scheint es, als ob nur Eiweiß, Kohlenhydrate und Fett wichtig wären. Natürlich kommt es auch auf die Mengen der einzelnen Makronährstoffe an, aber der Körper kann mit verschiedenen Kombinationen gut zurechtkommen. Auf der Ebene der Mikronährstoffe sind wir Menschen weit weniger flexibel und Defizite wirken sich negativ auf unsere Lebensqualität aus.

Im Folgenden lernen wir, wie der Körper Mineralstoffe und Vitamine aufnimmt, welche Mängel häufig auftreten und welche Risiken die Nahrungsergänzung birgt. 

Die Theorie der Triage

Sind medizinische Ressourcen reichlich vorhanden, können alle Patienten versorgt werden. Sterbende Menschen werden palliativ versorgt/betreut und die Gesunden erhalten eine vorbeugende Behandlung.

Aber wenn es an Ärzten oder medizinischem Personal mangelt oder sich die Zahl der Verwundeten/Erkrankten plötzlich vervielfacht, muss eine andere Strategie angewandt werden.

In früheren Zeiten fielen die Verwundeten auf dem Schlachtfeld in eine dieser drei Kategorien: 

  1. Sehr schwer verwundet. Diese Soldaten werden wahrscheinlich sterben, auch wenn man sie behandelt. 
  2. Leicht verwundet. Diese Menschen werden wahrscheinlich gerettet, auch wenn man nichts tun.
  3. Der Rest. Wenn man rechtzeitig behandelt, kann man den Soldaten retten. Wartet man zulange, wird er sterben. 

Um die gesamte Sterblichkeit zu minimieren und möglichst viele Leben zu retten, sollten alle Anstrengungen auf die letzte Gruppe konzentriert werden. Dieser rationelle Einsatz von Ressourcen wird Triage genannt.

Ernährungsspezifische Triage

Der renommierte Biochemiker Bruce Ames legte 2006 dar, dass der Körper bei der Verwendung der ihm zugeführten Mikronährstoffe eine ähnliche Logik anwendet (mehr Details). Jeder Mikronährstoff wirkt bei mehreren biologischen Prozessen mit. Einige dieser Prozesse sind für das unmittelbare Überleben entscheidend (z. B. für die Produktion von ATP), andere dagegen sind eher für Erhaltungsaufgaben zuständig (z. B. für die Reparatur beschädigter DNA oder die Regeneration von Knochen).

Erhält der Körper nicht die für kurzfristige Prozesse erforderliche Mindestmenge an Nährstoffen, kommt es innerhalb kurzer Zeit zu Krankheiten wie Skorbut (Vitamin-C-Mangel), Rachitis (Vitamin-D-Mangel) oder Beriberi (Vitamin-B1-Mangel). Diese Krankheiten sind heutzutage jedoch selten und lassen sich zudem durch Nahrungsergänzung leicht in den Griff bekommen. 

Wenn die Zufuhr nur die Mindestgrenze überschreitet, kann der Körper den unmittelbaren Bedarf decken, vernachlässigt aber vorerst die Erhaltungsaufgaben. Zwar kommt es in der Gegenwart zu keiner Krankheit, aber für die Zukunft besteht das Risiko einer chronischen Erkrankung.

Erst wenn der kurzfristige Bedarf gedeckt ist und noch genügend Nährstoffe vorhanden sind (über den Schwellenwert hinaus), werden auch regenerative Aufgaben wahrgenommen, die langfristige chronische Krankheiten verhindern können.

Schema der Ernährungstriage. Ein großer Teil der Bevölkerung befindet sich in der gelben Gruppe.

Im Jahr 2009 konnte Amos seine Theorie der Ernährungstriage in mehreren genial-konzipierten Studien bewiesen (Studie I, Studie II). Sehen wir dazu drei Beispiele an.

Vitamin K

Die wichtigste Funktion von Vitamin K ist die Blutgerinnung. Eine unzureichende Zufuhr begünstigt das Auftreten von Blutergüssen und Blutungen (Nase, Zahnfleisch …).

Vitamin K spielt aber auch bei langfristigen Prozessen eine wichtige Rolle, zum Beispiel für Knochen- und Herzgesundheit. Bei einer unzureichenden Versorgung (unterhalb des optimalen Schwellenwerts) räumt der Körper seiner wichtigsten Überlebensfunktion (Blutgerinnung) Vorrang ein, erfüllt aber nicht die Aufgaben zur Erhaltung der Knochen und des Herz-Kreislauf-Systems.

Eine Studie an Mäusen bestätigt genau dies: Ein geringer Vitamin-K-Mangel hat keine Auswirkungen auf die Blutgerinnung, führt aber im Laufe der Zeit zur Entkalkung der Knochen und zu koronaren Herzerkrankungen.

Selen

Eine andere Studie zeigt etwas Ähnliches für das Spurenelement Selen. Neben den unmittelbaren Funktionen (wie dem Schilddrüsenstoffwechsel) spielt Selen eine Rolle bei der DNA-Reparatur (Studie I, Studie II).

Ein Selen-Mangel wirkt sich kurzfristig nicht auf die Gesundheit aus, erhöht aber in der Zukunft das Krebsrisiko (Studie).

Magnesium

Magnesium ist an mehr als 300 biochemischen Reaktionen beteiligt. Wie oben erwähnt, sind einige davon unmittelbar wichtig (z. B. Energieproduktion und Blutzuckerregulierung), andere sind langfristig relevant (z. B. für den Aufbau von Knochen und Zähnen).

Ein moderater Magnesiummangel kann sich langfristig auf deine Gesundheit auswirken, da er mit koronarer Herzkrankheit (Studie), Schlaganfall (Studie I, Studie II) und Osteoporose (Studie) in Verbindung gebracht wird.

Wir könnten eine ähnliche Analyse für die anderen Mineralstoffe und Vitamine durchführen. Diese Übersichtsstudie fasst die Schlussfolgerung zusammen: „Die Optimierung der Mikronährstoffzufuhr kann einen großen Einfluss auf die Vorbeugung von Krebs und anderen degenerativen Krankheiten haben, die mit dem Altern einhergehen.“

Die Frage, die sich jeder Menschen stellen sollte: Habe ich einen Mikronährstoffmangel? 

Mangel an Mikronährstoffen?

In den vergangenen Jahrzehnten hat unsere Ernährung einen doppelten Rückschlag erlitten:

  1. Der Konsum von stark verarbeiteten Lebensmitteln mit geringer Nährstoffdichte (viele Kalorien, aber wenig Nährstoffe) steigt an. 
  2. In echten Lebensmitteln sind weniger Nährstoffe enthalten, was unter anderem an der Bodenverarmung (Studie) und Lebensmittelmanipulation liegt.

Laut dieser Studie nehmen 40 % der US-Bevölkerung nicht ausreichend Vitamin A, Vitamin C, Vitamin D, Vitamin E, Kalzium und Magnesium zu sich. Bei fettleibigen Menschen ist der Mangel noch größer. Mehrere Studien (z. B. diese oder diese) weisen in dieselbe Richtung.

Quelle: Agarwal, Sanjiv, et al. "Comparison of Prevalence of Inadequate Nutrient Intake Based on Body Weight Status of Adults in the United States: An Analysis of NHANES 2001-2008".

Auch in Deutschland sieht es in diesem Zusammenhang nicht viel besser aus. Angesichts dieser Situation erscheint es logisch, eine freiwillige Nahrungsergänzung zu empfehlen. Der Erfolg dieser Strategie ist jedoch begrenzt, da eine wahllose Supplementierung nicht sinnvoll ist (mehr Details).

Sehen wir uns nun an, warum die Ernährung die erste Verteidigungslinie ist und welche Fehler bei der Nahrungsergänzung häufig gemacht werden.

Lebensmittel-Synergie

Die reduktionistische Sichtweise der Ernährung besagt, dass eine Kalorie eine Kalorie und ein Nährstoff ein Nährstoff ist. Hier wird davon ausgegangen, dass es dem Körper egal ist, woher die Energie oder das Vitamin kommt. Das ist aber nicht ganz richtig.

Schon Aristoteles warnte: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Diese Aussage gilt ausdrücklich auch für die Ernährung.

Dieser Artikel stellt das Konzept der Nahrungsmittelsynergie (Food Synergy) vor und veranschaulicht, warum Lebensmittel viel mehr sind als die Summe der Nährstoffe:

  • Puffereffekt: Die Auswirkungen der Zufuhr eines Nährstoffs hängen von seiner Quelle ab. Der Verzehr von drei ganzen Orangen ist nicht dasselbe wie der Konsum von Orangensaft. Die Lebensmittelmatrix verlangsamt die Verdauung, wodurch die möglichen negativen Auswirkungen verringert und die Nährstoffaufnahme optimiert werden.
  • Synergieeffekte bei der Aufnahme: Die ordnungsgemäße Absorption bestimmter Nährstoffe setzt das Vorhandensein anderer Nährstoffe voraus, wobei etwa die Synergien zwischen Kupfer und Zink oder Mangan und Eisen bekannt sind. Diese Nährstoffe sind in Lebensmitteln häufig zusammen enthalten, nicht aber in Nahrungsergänzungsmitteln.
  • Die Herkunft ist wichtig. Ein natürlicher Nährstoff ist nicht dasselbe wie seine industrielle Version. In dem genannten Artikel wird erwähnt, dass Transfette, die natürlicherweise in tierischen Produkten vorkommen, der Gesundheit eher zuträglich sind, während industrielle Transfette äußerst schädlich für uns sind.

Es werden mehrere Beispiele für diese Nahrungsmittelsynergie angeführt:

  • In verschiedenen Studien wird das Wachstum von Krebszellen nicht durch das Vitamin C eines Apfels, sondern durch einen Apfelextrakt gehemmt, und zwar noch mehr, wenn die Schale mit einbezogen wird (Studie I, Studie II). Je vollständiger die Nahrung ist, desto stärker ist die positive Wirkung.
  • Der Verzehr von Tomaten beugt Krebs in größerem Maße vor als der Verzehr des entsprechenden Wirkstoffs Lycopin (Studie I, Studie II). Den Forschern zufolge „scheinen andere sekundäre Pflanzenstoffe in den Tomaten synergetisch mit Lycopin zu wirken, um dessen Schutzwirkung zu verstärken.“ Da wir derzeit bisher nicht wissen, um welche anderen sekundären Pflanzenstoffe es sich handelt und wie viel wir von ihnen benötigen, liegt die Empfehlung auf der Hand: Iss die ganze Tomate. 
  • Der Verzehr von Granatapfel und Brokkoli als Lebensmittel schützt besser vor Krebs als die isolierten Nährstoffe (Studie I, Studie II).

Wie es in einer anderen Untersuchung heißt: „Das Lebensmittel, nicht der Nährstoff, ist die Grundeinheit der Ernährung.“

Gefahren der Nahrungsergänzung

Solange die Nährstoffe aus der Nahrung stammen, besteht kaum die Gefahr einer Überdosierung oder eines Ungleichgewichts.

Wenn aber eine Pille, die man in Sekundenschnelle schluckt, so viel Eisen wie ein Steak oder genauso viel Kalzium wie ein Kilo Joghurt enthält, ist die Gefahr von Komplikationen groß. Und das, ohne hier noch auf die Zusammensetzung des Nahrungsergänzungsmittels einzugehen (Folsäure unterscheidet sich zum Beispiel von Folat).

Ein weiteres Risiko bei der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln ist das Ungleichgewicht zwischen eng verwandten Nährstoffen, wie Kalzium, Magnesium, Vitamin K2 und Vitamin D.

Foto von Johnson Wang auf Unsplash

Jahrzehntelang wurde die Einnahme von Kalzium-Ergänzungspräparaten empfohlen, insbesondere für Frauen, um Osteoporose zu bekämpfen. Spätere Studien weisen jedoch auf ein erhöhtes Risiko für koronare Herzkrankheiten bei Frauen hin, die Kalzium ohne Vitamin D einnehmen (Studie I, Studie II).

Der Grund? Wenn du Kalzium einnimmst, aber einen Mangel an anderen Nährstoffen hast, die das zusätzliche Kalzium in den Knochen binden (wie Vitamin D und K2), besteht die Gefahr, dass sich das zusätzliche Kalzium in den Arterienwänden ablagert. Die Kombination führt zu stärkeren Knochen, ohne das Koronarrisiko zu erhöhen (Studie). Das ist ein Beispiel, warum eine ausgewogene und durchdachte Nahrungsergänzung so wichtig ist. Daneben gibt es viele andere Wechselwirkungen:

  • Wenn du Vitamin D supplementierst, aber einen Magnesiummangel hast, kann dies deinen Magnesiummangel noch vergrößern, denn du verbrauchst Magnesium, um das zusätzliche Vitamin D zu metabolisieren (Studie). Ein niedriger Magnesiumspiegel wird mit koronarer Herzkrankheit in Verbindung gebracht (Studie). Vielleicht ist ein niedriger Vitamin-D-Spiegel aber auch teilweise auf einen Magnesiummangel zurückzuführen (Studie I, Studie II).
  • Vitamin K2 aktiviert das Protein Osteocalcin, das auch für die Bindung von Kalzium in Knochen und Zähnen benötigt wird (Studie) und verringert das Risiko der Arterienverkalkung (Studie I, Studie II, Studie III). Außerdem wirkt es synergetisch mit Vitamin D (Studie). Und das, ohne auf die Wechselwirkungen mit der Mikrobiota einzugehen, die für die Synthese dieses Vitamins zuständig ist. Das würde erklären, warum Antibiotika den Gehalt verringern (Studie I, Studie II).

Es gibt noch viele weitere Beispiele, aber zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Nahrungsergänzung im Blindflug nicht ratsam ist. Sicherlich ist eine gewisse Supplementierung zu bestimmten Zeiten von Vorteil, aber sie sollte einem bestimmten Zweck dienen

Die Botschaft ist klar: Deine beste Versicherung ist eine gute Gesamternährung mit nährstoffreichen, natürlichen Lebensmitteln, bei denen jede Kalorie mehr als nur Energie liefert.

Titelbild: Foto von Anshu A auf Unsplash

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